Ein Jahr in Andalusien
Halbwüste begeistert mich sofort. Die Erde ist gelb oder steingrau und staubtrocken, nur
manchmal unterbrechen Agaven, Feigenkakteen oder Palmen die Monotonie. Ein paar weiße quadratische Häuser verteilen sich dazwischen. Am Horizontist das dunkelblaue Meer zu erkennen. „¡Qué bonito! – Wie schön!“, sage ich immer wieder.
Wir steuern auf das ehemalige Fischerdörfchen Las Negras zu, von wo aus wir zur Bucht Cala de San Pedro laufen wollen. Esther ist vor ein paar Jahren
dort gewesen und spricht nur vom Hippie-Strand. Im Internet habe ich nachgelesen, dass es in der Bucht eine halb verfallene Burg gibt, in der das ganze
Jahr über Aussteiger leben, im Sommer sogar bis zu hundert Menschen. Im 16. Jahrhundert waren die Buchten von Cabo de Gata ein unsicherer Ort, ständig
waren die Fischerdörfer von plündernden Piraten bedroht. Um sich gegen die Angriffe zu schützen, bauten die Anwohner Trutzburgen. Eine davon ist das
Castillo de San Pedro. Mit dem Bau der Burg siedelten sich Fischer und Bauern an dem Flecken an. Im Lauf der kommenden Jahrhunderte war die Bucht immer
wieder Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, und jedes Mal erlitt die Burg Zerstörungen. Im 18. Jahrhundert waren es zuerst die Habsburger, die
hier ein Kriegsschiff des spanischen Bourbonenkönigs zerstörten und später die Kanonenläufe auf das Castillo de San Pedro richteten. Später flüchtete
sich ein Kriegsschiff aus Málaga vor den Engländern in die Bucht San Pedro. Die Kanonen des britischen Schiffs zerstörten die Burg fast vollständig, nur
der Turm blieb stehen. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts kaufte eine Privatperson das Gebäude, doch keiner weiß genau, wer das ist und was er
mit der Burg vorhat. Denn bisher leben weiter ungestört Aussteiger in dem alten Gemäuer.
Las Negras ist ein niedliches Dörfchen, dessen weiße Häuser wie Würfel in der kleinen Bucht verstreut liegen. Es ist acht Uhr, als wir ankommen. Erst
um halb zehn wird es dunkel, wir haben noch ausreichend Zeit, um bei Tageslicht in der Cala de San Pedro anzukommen. Den Bus stellen wir in einer
Seitenstraße ab, schultern die Rucksäcke, dieKühlbox nehmen wir zwischen uns. Esther zeigt auf einen Hügel im Osten des
Dorfs. „Dorthin müssen wir.“ Das klingt ziemlich vage, noch dazu ist die Box nach unserem Einkauf schwer geworden, und die Temperaturen sind trotz
fortgeschrittener Stunde immer noch nicht gesunken. Ich habe ernsthafte Bedenken, ob wir es schaffen, die ganze Fracht heil bis in die nächste Bucht zu
bringen. Um Esther nicht zu demotivieren, behalte ich meine Sorgen für mich.
Wir folgen der einzigen Straße, die in Richtung Osten führt, und biegen anschließend in einen Feldweg ein, der kurz vor Beginn des Hügels bergauf
führt. Haben wir bis hierher schon geschnauft wie Lastesel, klingen wir jetzt wie Dampfloks. Alle fünf Meter stellen wir die Kühltruhe ab, um den
anderen Arm zu belasten. Hat Esther zu Beginn der Wanderung noch voller Enthusiasmus von ihrem neuen Lover erzählt, ist sie jetzt verstummt. Wir
konzentrieren unsere gesamten Kräfte auf den Weg. Nach fast einer Stunde sehen wir endlich die Burg San Pedro vor uns.
„No me lo creo, ich fasse es nicht“, sagt Esther, wir atmen erleichtert auf. Die letzten Meter stolpern wir bergab. Am Strand angelangt, platze ich
heraus: „Das nächste Mal verzichte ich lieber auf das eisgekühlte Bier.“ Esther holt zwei Dosen aus der Box hervor und öffnet sie mit einem lauten
Zischen. „Sag das noch mal, wenn du getrunken hast.“ Sie schließt die Augen und schlürft genüsslich das Bier. Mittlerweile dämmert es. Der Strand ist
voller Menschen, der Großteil splitternackt, alle schenken uns ein freundliches Lächeln. „Die hoffen alle, dass wir sie auf ein kühles Bier
einladen. Aber nichts da“, sagt Esther, und wir müssen lachen.
Unser Lager schlagen wir direkt am Strand auf, ich breite Isomatte und Schlafsack aus, mittlerweile ist die Nacht hereingebrochen. Dann ziehen wir uns
auch aus und laufen ins Wasser. Ruhig und angenehm kühl ist das Meer, dasMondlicht spiegelt sich. Wir bleiben bestimmt eine halbe
Stunde im Wasser. Mittlerweile hat eine Gruppe am Strand ein großes Lagerfeuer entfacht. Wir greifen zum Handtuch, schnappen uns zwei Bierdosen und
nähern uns dem Feuer.
„Eine tragische Liebesgeschichte spielte sich am 24. Juli des Jahres 1928 in dem Bauernhaus Cortijo del Fraile gleich hier in der Nähe ab. Die Tochter
des Bauernhausbesitzers sollte
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