Ein Jahr in Andalusien
nicht verpassen.“ Ara erklärt mir, dass es am längsten Tag des Jahres erlaubt ist, Feuer am Strand zu machen. Am
Abend des 21. Juni reiht sich ein Lagerfeuer an das andere an der kilometerlangen Strandpromenade von Málaga.
Jaime hält Siesta, als ich nach Hause komme. An diesen ausgedehnten Mittagsschlaf kann ich mich nicht gewöhnen – nur in
Ausnahmefällen, wie zum Beispiel nach einem Mahl bei seinen Eltern, lege ich mich dazu. Meist völlig gerädert und noch viel müder als zuvor wache ich
nach der Siesta auf. Für ihn aber ist es eine der schönsten spanischen Traditionen. Um ihn zu wecken, lege ich seine Lieblings-CD auf, „Nos sobran los
motivos“ von Joaquín Sabina, einem Liedermacher aus Úbeda bei Jaén. In seinen Texten geht es fast ausnahmslos um die Liebe zu den Frauen und darum,
dass er sich nicht für eine einzige entscheiden kann. Ob in Jaime wohl auch solche Rockstar-Allüren schlummern, frage ich mich und hüpfe unter die
Dusche. Als ich fertig bin, liegt Jaime immer noch auf dem Sofa.
„Venga! Auf geht’s! Heute ist die Noche de San Juan, Sommersonnwende!“, rufe ich ihm zu. Ich ziehe mir ein geblümtes Sommerkleid an und stecke eine
leichte Strickjacke in meine Umhängetasche. Während er sich fertigmacht, klingelt mein Telefon. Esther, meine Freundin aus Granada, ist dran. Ich höre
ihr schnell an, dass etwas nicht stimmt. „Mit mir und Pedro ist es vorbei“, rückt sieschließlich mit gebrochener Stimme heraus. Aber
es dauert nicht lange, da ist ihre Lebensfreude wieder da: „Lass uns am übernächsten Wochenende in das Naturschutzgebiet Cabo de Gata in Almería fahren.
“ Ich sage ihr sofort zu, denn ich hatte schon lange Lust, die Halbwüste im Osten von Andalusien kennenzulernen. Außerdem sollen die Strände dort zu
den schönsten im ganzen Mittelmeerraum gehören.
Als ich Jaime von meinen Wochenendplänen erzähle, ist er nicht so begeistert wie ich. Sein Gesichtsausdruck verdunkelt sich, und er
sagt nur: „Aha.“ Als ich ihn frage, was los sei, wehrt er zwar ab und sagt, es sei alles in Ordnung, aber ich habe mittlerweile herausgefunden, dass in
seinen Adern noch viel maurisches Blut fließt. Seine Vorstellung von einer Beziehung orientiert sich doch mehr an der traditionellen Rollenverteilung,
als er es sich eingesteht. Dass ich ihm die Wäsche waschen oder jeden Tag etwas kochen werde, hat er zwar nie erwartet. Aber wenn wir am Abend ausgehen,
lässt er mich nur bezahlen, wenn ich darauf bestehe, und dass wir getrennt voneinander etwas unternehmen, gefällt ihm anscheinend überhaupt nicht. Doch
mein Plan steht fest: In zwei Wochen erkunde ich mit Esther den Naturschutzpark Cabo de Gata.
Als wir wenig später am Strand entlangschlendern und den jungen Leuten dabei zusehen, wie sie ihre Lagerfeuer schüren, hat sich seine schlechte Laune
schon wieder verzogen. Die Nacht senkt sich langsam über die Bucht von Málaga. Die ersten Flammen schlagen in die Luft, um die Feuer scharen sich
Menschen mit Bier- und Weinflaschen, bald ist am Stadtstrand Malagueta kein Sandkorn mehr frei. Wir treten den Rückzug an und verlassen das
Getümmel. Mittlerweile ist die Sonne ganz untergegangen. Die auflodernden Feuer lassen den Nachthimmel noch schwärzer erscheinen.
„Hast du Lust, ins Farolito zu gehen?“, fragt Jaime. Das kleine argentinische Lokal in der Altstadt gehört drei Freunden, die auf eine spartanische
Speisekarte gesetzt haben: argentinisches Fleisch pur, nur Brot servieren sie dazu. Ihr Konzept geht auf, die wenigen Tische sind immer bis auf den
letzten Platz gefüllt. Nachdem wir der Fleischeslust gefrönt haben, gehen wir noch ein Glas Wein in einem Straßencafé der Fußgängerzone Calle
Alcazabilla trinken. Im Sommer ist um Mitternacht in den Straßen der Altstadt viel mehr los als tagsüber. Gegenüber unserem Tisch liegen die Ruinen des
römischen Amphitheaters, dahinter die maurische Burganlage Alcazaba, darüber steigt der Mond auf. Ich erzähle Jaime von meinen Telefonplänen für
morgen. Er weiß, wie wichtig das für unsere gemeinsame Zukunft ist. Wenn ich es nicht schaffe, beruflich in Andalusien Fuß zu fassen, werde ich nicht
bleiben. Jaime nimmt mich fest in den Arm und flüstert mir ins Ohr: „Du musst an dich und an uns denken. Dann schaffst du das.“ Mit dem aufgehenden
Mond im Rücken schlendern wir Arm in Arm nach Hause. Ein mulmiges Gefühl in meiner Magengrube bleibt. Morgen ist ein wichtiger Tag.
Juli
Der Widerstand schmilzt
Meine
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