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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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ich gab Rob recht: Busfahren in Sydney dauerte zuweilen. Andererseits bildete es auch ungemein. Nicht nur kannte ich nachmeiner kleinen Tour die neuen Handytarife. Vor allem hatte ich eine weitere Lehrstunde in Sachen Nettigkeit und Geduld genossen, gewürzt mit diversen Anregungen zum Thema „easy going“. Für Neuimmigranten wie Lisa oder mich aus, sagen wir: eher mittelmäßig fröhlichen Ländern müsste diese Art der Fortbewegung mindestens ein Jahr lang Pflicht sein, schlug ich vor. Oder als zusätzlicher Aufnahmetest eingeführt werden. So wie Leute fürs Visum Englisch paukten, müssten sie eben auch Busfahren üben. Zu den Lektionen gehörten dann etwa: Beim Einsteigen lächeln, geduldig bleiben, wenn junge Frauen japanische Stadtpläne auseinanderfalten, beim Aussteigen dem Fahrer beiläufig für den schönen Ausflug danken. Erst wer all das verinnerlicht hatte und beherrschte, bekäme seine Papiere und dürfte bleiben. How about that?
    Rob hatte meinem kleinen Vortrag zugehört, mir einen Sauvignon bestellt und schien meine Unpünktlichkeit verziehen zu haben. Für Hürden in der Visumsbeschaffung interessierte er sich hingegen weniger. Er lachte und funkelte mit seinen wirklich extrem grünen Augen. Ich überlegte, ob das wohl das australische Signal für „Affäre geplant“ war oder eine seiner ganz normalen Eigenarten, und beschloss, es vorerst zu ignorieren. Die Kneipe war etwas schicker als die Pubs, die ich aus Bondi kannte und bisher selten betreten hatte – vor allem weil sie mir vorkamen wie riesige Bahnhofstrinkhallen. Das „White Horse“ war fast ebenso unübersichtlich, aber dafür stilvoller eingerichtet: Auf drei Etagen gab es chromblitzende Theken, Bars, Lounge-Ecken mit breiten Sofas, dunkel getäfelte Salons, in denen Essen serviert und andere, in denen Billard gespielt wurde. Die Terrasse, die Rob als Treff vorgeschlagen hatte, war ein guter Kompromiss zwischen zu groß und zu intim. Außerdem war es ein schöner, lauer Abend, dass eigentlich längst Herbst war, merkte man bislang nur an den kürzer werdenden Tagen.
    Über seinen Job schien mein Rendez-vous nicht reden zu wollen. Also unterhielten wir uns, worüber Surfer immer, ausführlich und völlig unverfänglich reden können: Wellen. Gute, schlechte, hohe, zu hohe Wellen. Rob, so stellte sich heraus, war ein Spätbekehrter wie ich: Beide hatten wir etwa zur gleichen Zeit unsere Leidenschaft fürs Balancieren auf dem Wasser entdeckt. Ich schätzte ihn auf Anfang-Mitte vierzig, seine Haare waren nicht die in Bondi so beliebte, ausgebleichte Strubbel-Matte, sondern unspektakulär dunkel und kurz geschnitten. Über teuer aussehenden Jeans trug er Hawaii-Hemd, am Handgelenk ein fransiges Flechtband. Aber das war auch der einzige Hinweis auf den Strand-Look. Er war in Tasmanien groß geworden, erzählte er, wo das Wasser selbst im Sommer an vielen Stellen selten wärmer als zwölf Grad wurde, dann hatte er in Melbourne, London und in den USA gelebt – alles keine zwingenden Surf-Reviere. Erst als er vor drei Jahren nach Bondi zog, hatte ein Freund ihm ein Board geliehen und ihn mit dem Virus infiziert.
    Und ich hatte gedacht, irgendwie müsse jeder normale Australier surfen können. So wie ich gleich nach dem Sprechen Radfahren gelernt hatte. Allein schon weil es rund um diesen Kontinent so absurd viele Strände gab. Genau 11011 Sandstreifen sollten es sein. Ein Professor von der Uni Sydney hatte tatsächlich Jahre seines Forscherlebens damit verbracht, auf diese Zahl zu kommen, beziehungsweise all diese 11011 Strände zu finden, zu prüfen und nach Schönheit, Gefährlichkeit und Surfbarkeit zu bewerten. Und schließlich lebten laut oft zitierter Statistik 85 Prozent aller Australier nicht weiter als eine Stunde von der Küste entfernt. Müsste da nicht eigentlich jeder irgendwann wenigstens mal eine klitzekleine Welle geritten haben?
    Rob blitzte mit seinen grünen Augen, die eindeutig seine Nahkampfwaffe waren und freute sich über meine Klischee-Vorstellungen. „Schön wär’s“, lachte er. Er selbst jedenfallshätte in seinem Leben leider mehr Zeit hinter Computern verbracht als im Wasser, und er sei damit keine Ausnahme. Aber immerhin versuche er gerade, das zu ändern. Ob ich am Wochenende schon was vorhätte. Wenn nicht, könnten wir ja zur Abwechslung mal zusammen in Maroubra surfen gehen. Ein paar Kilometer weiter südlich als Bondi, und nicht so voll. Eine gute Idee, fand ich, wir waren schließlich

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