Ein Jahr in Australien
nach einem Tag unter Australiens blauem Himmel so rot seien wie Pomegranates – Granatäpfel. Bei denen, die schon eine paar Jahrzehnte länger hier lebten, seien Poms nur mittelmäßig beliebt. Na ja, es kam drauf an, die meisten seien schon in Ordnung, Hauptsache, sie gewännen nicht beim Cricket oder Rugby. Lisa allerdings, fand Chris und schüttelte den Kopf, müsste noch lernen, auch mal locker zu lassen. „Heute früh in der Küche hat sie tatsächlich auf mein ,Good morning, how are you?‘ erst die Stirn in Falten gelegt, dann tief geseufzt und gesagt: ,Ach, ich weiß nicht, es geht so …‘ Oh my God!“ Christine prustete noch mal. „So genau wollte ich’s ja nun um die Uhrzeit auch nicht wissen!“ Dann klopfte sie sich das Gras von der schwarzen, bügelgefalteten Hose und verabschiedete sich gen Büro. Insgeheim tat mir ihre mürrische Mitbewohnerin mit ihrer Flucht vor den Busfahrern fast Leid. Vor allem aber war ich heilfroh über meine Lektionen von Seb. Mit einer Serie von „Okays“ hätte ich’s mir mit meiner neuen Bekannten garantiert in kürzester Zeit verscherzt.
Mich vertrieb das joviale „How-are-you-today-love?“ nicht aus dem öffentlichen Nahverkehr. Im Gegenteil. Ich fing an,diese blauweißen Kriechtiere richtig zu mögen. Zwar kamen sie nie, wenn sie sollten, und hielten dann an jeder Ecke. Aus kulturellen Gründen allerdings waren sie unschlagbar. Auch meine nächste Lektion in „Australian way of life“ lernte ich in einem Bus. Und zwar auf der Linie 380, die von Bondi Beach in die Innenstadt fuhr. Der Fahrer trug einen Lederhut mit Krempe, war klein und grinste nicht ganz so breit wie der Surfer vom Vortag. Aber dafür wollte er kein Geld. Wie bitte? Er hatte das vermutlich schon häufiger erklärt und zeigte nur achselzuckend auf das Schild über der Entwertungsmaschine: „Free Travel Day – Freifahrt-Tag!“ Oh danke, und wieso ausgerechnet heute? Normalerweise gab es derlei nicht gratis. Umsonst, das jedenfalls dachte ich bislang, waren hier nur Sonnenbrand, Sonnenuntergänge und Sonnenbaden. Aber vielleicht feierte ja die Königin Geburtstag. Das passierte hin und wieder zu völlig willkürlichen Terminen, die nichts mit dem eigentlich Wiegenfest zu tun hatten. Oder hatten „wir“ in einem dieser unbegreiflichen, australischen Ballspiele gegen England gewonnen: Cricket? Rugby? Alles falsch.
Der Mann am Steuer klärte mich auf. „On strike – Wir streiken.“ Sie streikten und fuhren trotzdem? Geduldig erklärte er, schuld an den geplanten Änderungen im Arbeitsrecht seien ja nicht die Kunden. Leiden sollten folglich auch nicht sie, sondern die Verantwortlichen. Also fuhr ganz Sydney umsonst. Kreuz und quer zur Arbeit durch die Stadt und per Fähre nach Manly zum Baden und mit dem Zug in die Blue Mountains. Streiken auf australisch gefiel mir. Wie diese Art Arbeitskampf wohl bei einer Gewerkschaftssitzung in Dortmund ankommen würde? Schwer vorzustellen, dass die Variante Freifahrttag viele Stimmen bekäme. Millionenverluste für die Transportbetriebe, ein Riesenspaß für die Fahrgäste. Denn natürlich ging so alles viel schneller: Keiner, der einstieg, musste nach Kleingeld kramen, kein Stau ander Tür vor dem Ticketleser. Ich war begeistert und erklärte den Tag spontan zum Sightseeing-Mittwoch. Das nördlichste Ende der Stadt war eine halbe Tagesreise oder 42 Kilometer vom Zentrum entfernt. Der Vorort hieß Palm Beach und dahin wollte ich allein wegen des filmreifen Namens immer schon mal.
Am nächsten Tag zahlten wir wieder. Autoritäten und Busfahrer schienen sich geeinigt zu haben. Zahlen oder entwerten und sitzen; fahren, halten, palavern, zahlen, weiterzockeln – und all das mit der üblichen, unendlichen Langsamkeit des 380ers. An diesem Donnerstag wurde beim Einsteigen überdies viel diskutiert. Vor allem über das Wann und Wohin und Wieviel. Am Strand stiegen zwei asiatische Touristinnen zu. Dass ein Schild bat, passendes Geld parat zu haben, konnten sie natürlich nicht lesen. Ich vertiefte mich in eine Süddeutsche Zeitung vom Freitag zuvor, die mir mein Bruder aus Berlin geschickt hatte. Er sorgte sich um meine politische Allgemeinbildung, und das mit Recht. Deutsche Tageszeitungen jeder Art waren in Sydney so rar wie Schlechtwetterperioden. Und falls doch mal eine am Kiosk lag, kostete sie um die 16 Dollar und war eingeschweißt, wahrscheinlich damit niemand sah, dass sie drei Wochen alt war. Fünf Tage alter Nachrichten-Genuss aus dem
Weitere Kostenlose Bücher