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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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Dingo! Einer der wildlebenden Hunde Australiens, von denen es nicht mehr besonders viele gab. Solange man sie nicht reizte, hatte ich gelesen, waren sie harmlos. Trotzdem, heute Nacht würde ich im Van schlafen.
    Drei Tage später war ich immer noch nicht Richtung Norden gezogen. Ein paar Mal hatte ich mir gesagt: Ah, morgen fahre ich weiter, ich will schließlich noch mehr sehen. Und war dann doch geblieben. Warum sollte ich ohne Not einen Platz verlassen, der so idyllisch war? Jeden Morgen war ich mit einer Gruppe von sechs oder acht Delphinen gesurft, die neben mir durch die Wellen tauchten und hin und wieder übermütig aus dem Wasser schossen. Auf langen Spaziergängen hatte ich den schneeweißen Leuchtturm auf der Landzunge von Seal Rocks umrundet, die Seen im Hinterland erkundet und Hundertschaften kleiner Krebse in den Felsbecken am Strand erschreckt. Ich hatte meine Camping-Kochkünste verfeinert und sogar im Schein einer aus Kerzen der Nachbarn improvisierten Lampe mein Lebensretterbuch studiert. Nachts hörte ich manchmal das ferne Jaulen des Dingos, der sich nie wieder blicken ließ. Seal Rocks hatte etwas Unspektakuläres und zugleich Magisches. Als ich Samstagnachmittag zusammenpackte, hatte ich das Gefühl, ich sei Wochen unterwegs gewesen.

Oktober
    Der Surfclub , wie wir das Lebensretter-Hauptquartier der Kürze halber nannten, war zwar von außen hässlich, hatte aber versteckte Qualitäten – als Museum zum Beispiel. Hinter dem Eingang stapelten sich in einer Halle Renn- und Rettungsboards bis unter die Decke. Dazwischen steckten Paddel, Surf-Skis und meterlange, schmale Kayaks, die aussahen, als müsse man einen Seiltänzerkurs belegen, ehe man auf ihnen geradeaus fahren könnte. Es war düster, roch nach nassen Handtüchern und Turnhalle. Nicht so im Obergeschoss, einem kuriosen Mix aus Ziegeln, vertäfelter Bar und abgehängten Decken mit 70er-Jahre-Ornamenten. Hier war auch unser Übungsraum. Goldene und silberne Pokale glänzten auf den Simsen, vergilbte Urkunden und Wimpel hingen zwischen historischen Holzflößen, Seilen und einer mutmaßlich legendären Ruderstange, von der die Farbe blätterte. Mich faszinierten am meisten die alten Fotos, die im Funkraum, über Billardtisch und Bar, jeden Zentimeter Wand dekorierten. Athleten in schräg gestreiften Ganzkörper-Badeanzügen hatten sich zum Gruppenfoto von 1929 akkurat zur Pyramide formiert. Im Hintergrund entdeckte ich Sand und Dünen, wo heute ein Appartementhaus neben dem nächsten stand. Dann gab es Bilder von kräftig gebauten Herren, die mit Seilen etwas dubios wirkende Rettungspraktiken vorführten. Auf keinem Foto fehlte auch nur einem Lebensretter die gestreifte Kappe, die ich insgeheim etwas albern fand, vor allem weil sie mit zwei weißen Bändchenund Schleife unterm Kinn festgebunden wurde. Es gab Drucke von wagemutigen Einsätzen mit hölzernen Ruderbooten, in denen die Sportler von Wellenkämmen senkrecht in die Luft gehoben wurden. In diesen schweren Kähnen hatte ich Kathy schon für Wettkämpfe trainieren sehen. Zum Retten von Menschen schienen sich inzwischen Schlauchboote mit Motor besser bewährt zu haben. Bis Ende der 70er Jahre konnte ich nicht eine einzige Frau auf den Fotos entdecken. Irgendwann danach musste auch diese letzte Bastion echter Kerle gefallen sein. In den 80ern tauchten plötzlich Köpfe mit langen blonden Zöpfen unter den Bändchenkappen auf.
    Diese Fotos waren eine faszinierende Reise in die Vergangenheit. In eine, die ich mir an diesem milden Dienstagabend nur noch mit einiger Anstrengung vorstellen konnte. Vom Balkon des Clubhauses blickte ich über die Bucht und den Strand, auf dem die letzten Sonnenbadenden und Schwimmer grade ihre Handtücher zusammenpackten. Ein paar Kinder zogen ihre Boogie Boards hinter sich her durch den Sand zum mobilen Eisstand, der nicht wie in Hamburg mit einer Glocke auf sich aufmerksam machte, sondern aus irgendeinem Grund via Lautsprecher „Greensleeves“ spielte. Ein paar Surfer rannten nach der Arbeit Richtung Südende des Strandes.
    Es war schwer zu glauben, dass man da unten noch vor wenig mehr als hundert Jahren nicht ins Wasser durfte, aber genau so war es. Schwimmen im Meer bei Tageslicht galt um 1900 nicht nur als moralisch fragwürdig. Wer sich damals nach Sonnenauf- oder vor Sonnenuntergang in den Wellen zeigte, machte sich auch strafbar. Dann kam William H. Gocher. Ihm, einem Zeitungsmann aus Manly, verdankten die Australier angeblich, dass sich der

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