Ein Jahr in Australien
aber auch wirklich eine Menge Arten, sich das Leben schwer zu machen!
Dann kamen sie endlich. Ich hatte einen zweiten Futon gekauft, gestaubsaugt, den Kühlschrank gefüllt und zur Feier des Ereignisses sogar die Fenster geputzt. Ich war ungeduldig, voller Vorfreude, aber auch aufgeregt. Was, wenn es ihnen nun nicht gefiele? Wenn sie Sydney langweilig, Bondi blöd und den Rest Australiens, was auch immer, vielleich zu australisch fänden? Ich war nervös, beinahe so, als wäre ich im Begriff, meinen engsten Freunden den neuen Lebensabschnittsgefährten vorzustellen. Zur Begutachtung, nach angemessener Probezeit natürlich. Dann musste ich über mich selbst lachen und lehnte mich im Van zurück. Hinter den Bäumen des Centennial Parks ging mit ein paar sehr weichen Streifen die Sonne auf und strahlte die großen Bäume an, an deren Ästen die dicken, knallroten Blüten hingen, noch ehe sie Blätter bekamen. Lorikeets schossen querüber die um die Uhrzeit weitgehend leeren Straßen: Warum sollten sie das nicht mögen? Wieso sollte es den beiden so schrecklich anders gehen als mir? Ich schob die Sonnenbrille ins Haar und prüfte im Rückspiegel, ob ich wohl noch so aussah wie vor acht Monaten. Wie auch immer, da war jetzt eh nichts mehr zu machen. Warum allerdings Flüge aus Europa unbedingt morgens um sechs landen mussten, war mir ein Rätsel. Bei der Entfernung und einer Flugzeit von über zwanzig Stunden könnte man das Ganze auch etwas menschenfreundlicher planen, fand ich. Jetzt musste ich mich allerdings sehr beeilen, sonst stünden die beiden ohne Abholer am Flughafen. Ich gab Gas.
Vier Tage später hatte ich das Gefühl, wieder einigermaßen flüssig deutsch sprechen zu können. Gleichzeitig hatte ich etwas Seltsames beobachtet: Mir war gar nicht so lieb, wenn mein Barista oder die Busfahrer hörten, dass wir deutsch redeten. Allerdings war mir nicht ganz klar, warum das so war. Denn eigentlich genoss ich es, endlich mal wieder in meiner eigenen Sprache mitzuteilen, was ich wollte. Ohne nachdenken zu müssen und ohne Fehler zu machen. Erholsam war das. Aber trotzdem bemerkte ich, wie ich manchmal fast unbewusst die Stimme senkte. Fast als sei es mir mittlerweile zwischen all den Australiern nicht mehr recht, als Ausländer „erkannt“ zu werden. Fühlte ich mich damit zurückgeworfen in meine Monate als blutiger Anfänger? In jene Zeit, als ich „frisch vom Boot“ kam und noch nicht wusste, dass Mate ein mate war, Busfahrer einen Darling nannten und dass man Merlot in Wirklichkeit Mööhr-lauu aussprach? Ich war mir nicht sicher, aber ich verordnete mir selbst: relax, take it easy! Sie würden mich schon nicht wegen ein paar deutscher Sätze gleich wieder fragen: „How do you like Australia?“
Unter einem der blauweißen Sonnenschirme am Kai war Relaxen einfach. Wir verjagten die dreisten Möwen undbreiteten auf einem Steintisch vor dem Fischmarkt unseren Fang aus: eine große Tüte Scampis, Jakobsmuscheln, pazifische Felsaustern, ein gegrillter Snapper mit Chips und zwei frische Baguettes. Alles zusammen hatte nicht mehr als drei Pizzen gekostet und würde einen fürstlichen Mittagsimbiss abgeben. Bernd fand, Fisch müsse schwimmen, und kam mit einer Flasche westaustralischem Sauvignon und drei Plastikgläsern wieder: „Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Wir sahen uns an und prusteten los: Wir gönnten uns seit ihrer Ankunft immerzu nur das Beste, und das war gut so.
Die ersten Tage hatten meine Gäste mit Entjetlagen, Strandleben und Bondi-Beach-Erkunden verbracht. Und zum Glück gefiel ihnen, wo sie gelandet waren, auch wenn es anders war, als sie es sich vorgestellt hatten: Sie fanden das Meer schöner, die Häuser hässlicher, den Strand kleiner, das Licht intensiver und die Leute australischer. Vielleicht waren meine Beschreibungen einfach nicht sonderlich präzise gewesen? Mona lachte, nein, es läge wohl eher daran, dass ihre Fantasie zuweilen mit ihr durchgegangen sei.
Unter dem Fischmarkt hatten sie sich nichts vorgestellt, weil ich nie davon erzählt hatte. Folglich entdeckten wir ihn unvorbelastet und erwartungsfrei. Nur eines hatte ich auf dem Hinweg durch die City verraten, nämlich dass die Australier natürlich auch für den Markt an der Blackwhattle Bay einen Superlativ hatten: Der Sydney Fishmarket war angeblich der größte der Südhalbkugel und, mit Ausnahme des japanischen, auch noch der artenreichste der Welt. Über hundert verschiedene Sorten Fisch würden hier jeden Tag
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