Ein Jahr in Australien
dass auch der Baum – natürlich kein Eukalyptus, sondern möglichst ein Gewächs, das entfernt nach europäischer Tanne oder Kiefer aussah – schon Wochen vor dem Fest aufgestellt wurde.
Selbst Jen und Paul hatten in ihrer kleinen Wohnung einen fast türhohen Baum dekoriert. Wann immer Pakete und Briefe von auswärts kamen oder Freunde Geschenke brachten, wurden die artig unter das grüne Monstrum gelegt. Sie waren verpackt und würden es angeblich bis zum 25.bleiben. Ich verzichtete auf Nadeln und Kerzen. Irgendwie kam es mir absurd vor, in Sarong und Bikini eine Tanne zu schmücken. Aber ich dekorierte die Holznikoläuse, geschnitzten Engel und Schneemann-Figuren aus dem Paket meiner Mutter am Küchenschrank. Auch wenn sie aussahen, als sei ihnen ziemlich warm.
Der Ferienmonat sorgte außerdem dafür, dass Bondi überquoll. Wie auf Kommando waren sie zeitgleich in unseren Stadtteil geströmt: die Backpacker aus Irland, Schottland und England, aber auch aus Freiburg, Bern und Tel Aviv, die übrigen Touristen, die Bewohner strandloser Vororte mit auspuffmanipulierten Subarus WRX, die Großfamilien mit Klappstühlen und Baby-Schatten-Zelt, die Teenager, die, Ozonloch hin oder her, ihre schulfreie Zeit offenbar komplett dafür nutzten, an ihrem Teint zu arbeiten. Die „locals“, also jene, die das ganze Jahr über in Bondi lebten, legten mehr oder weniger ausgetüftelte Rückzugsstrategien an den Tag. Die einen verreisten. Mit Vorliebe in Ferienhäuser oder auf Zeltplätze, die ebenfalls in der Nähe von Stränden lagen, allerdings mindestens 250 Kilometer nördlich oder südlich. Auswahl gab es ja genug. Diese Nord-Süd- oder Süd-Nord-Migration vollzogen auch die anderen Küstenbewohner um die Zeit: Wer in Noosa wohnte, packte das Auto und fuhr nach Nambucca Heads, Paare aus Bateman’s Bay zockelten über den Highway nach Port Stephens, Familien aus Kiama nach Noosa. Hauptsache, man wechselte den Strand. Wer blieb, also in Bondi, änderte wenigstens Rhythmus und Gewohnheiten. In den Cafés in Meeresnähe sah ich die bekannten Gesichter wenn überhaupt, dann nur vor Tagesanbruch oder bei schlechtem Wetter. Ansonsten saß man in Lokalen in den Seitenstraßen, mindestens fünf Blocks vom Wasser entfernt. Die Bondier joggten nicht mehr über den Küstenweg nach Bronte und zurück, weil der vor Besuchern verstopft war. Stattdessen gingen sie zum Laufen in den Centennial Park.Da war auch mehr Schatten. Sie trafen sich öfter zu Hinterhof-Barbies als in der Kneipe. Wenn sie ausgingen, fuhren sie nach Kings Cross oder Surry Hills. Vor allem vermieden sie es, zur Mittagszeit bei vierzig Grad in der prallen Sonne am Strand zu liegen. Schwer vorstellbar, aber wahr: Es gab genug Leute, die genau das taten.
Mir ging es nicht anders als den erfahreneren Einheimischen. Noch keine zwölf Monate am Ort, aber schon ein Mein-Strand-gehört-mir-Snob, herzlichen Glückwunsch. Ich fand Bondi laut und voll und heiß und trubelig, und außerdem roch es überall nach Kokosöl. Der Strandtraktor kämpfte sich morgens stundenlang zwischen Promenade und Wasser auf und ab, um Pepsiflaschen, Papier und andere Hinterlassenschaften der Scharen aus dem Sand zu bürsten. Das Meer war die Ausweitung der Kampfzone: Dort tummelten sich zahllose begeisterte junge Menschen, die überzeugt waren, dass sie, was so einfach aussah, in Minuten lernen würden. Sie hatten sich deshalb eins der nadelspitzen Hartplastikteile geliehen und zeigten, wie man aus einem Sportartikel eine Nahkampfwaffe macht: Bretter flogen, Finnen schlitzten, Touristen brüllten. Ich fand Bondi zum ersten Mal gefährlich. In die Wellen wagte ich Angsthase mich nur noch, ehe die Massen kamen, bei Regen oder nach Sonnenuntergang. Im Vergleich mit den rabiaten Anfängern kamen mir Haie harmlos vor.
Als ich mich eines Tages im Speedo’s über die Rechnung wunderte, spielte ich mit dem Gedanken, in einen Koffein-Streik zu treten. Und das ist etwa, als beschließe eine Dogge, drei Monate nicht zu sabbern. „10 % Zuschlag an Sonntagen“ las ich in Großbuchstaben, aber hauchdünner Typographie, unter der Speisekarte. Ich beschloss, sonntags fortan zu arbeiten. Natürlich waren all diese Reaktionen überzogen und zeugten von echter Strandvororts-Arroganz. Aber es gehörte irgendwie dazu. Vielleicht gab es mir auch nur das Gefühl,als gehörte ich dazu. Aber mal ehrlich: „10 % surcharge on Sundays!“ Die träumten wohl schlecht.
Zum Ausgleich erlebte ich all diese Stunden, in
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