Ein Jahr in London
und den steilen Berg des Parkes hinaufgehen, wird das riesige Feuer gerade angezündet. Es ist ein toller Anblick – auf der einen Seite die lodernden Flammen, auf der anderen in der Ferne die Lichter der Londoner Innenstadt. Und dazwischen glückliche Kinder, die versuchen, so nahe wie möglich an die Flammen heranzukommen, bis sie vom Sicherheitspersonal zurückgewiesen werden, woraufhin sie einen kleinen Bogen machen und es stattdessen auf der anderen Seite versuchen.
Insgeheim hoffe ich darauf, Jake hier zu treffen. Schließlich wohnt er im benachbarten Highgate und den Menschenmassen nach zu urteilen ist ganz Nordlondon hier versammelt. Nachdem ich ihn vor einigen Monaten mit seiner Freundin hier im Park gesehen habe, kann ich mich unmöglich bei ihm melden, aber vermissen tue ich ihn trotzdem. Doch das einzige bekannte Gesicht unter den Tausenden ist Barry.
„Yitkee, deine Miete ist schon seit zwei Tagen fällig!“, ruft er uns von weitem zu. Yitkee schaut beschämt auf den Boden.
Barrys drei kleine Jungen, alle in dieselben Kniebundhosen und Schirmmützen gekleidet, laufen immer näher an das Feuer heran, während seine Frau verzweifelt versucht, sie aus der Gefahrenzone herauszuziehen. Nicht nur haben Barry und seine Frau Mary schon selbst reimende Namen, auch haben sie ihre beiden älteren Jungs auf Larry und Harry getauft. Nur der kleinste, Jamie, passt nicht ganz dazu, was ihn sicherlich zum schwarzen Schaf der Familie werden lässt, befürchtet Yitkee.
„Sie hätten ihn doch Terry nennen können. Oder Jerry“, schlägt Yitkee vor. „Vielleicht kommen ja noch ein paar Kinder nach“, tröste ich ihn.
Die anderen Anwesenden bei dieser Bonfire Night sind ein buntes Gemisch aus vornehmeren Primrose-Hill-Bewohnern, Familien, die es sich trotz Kälte mit Picknickkorb und Decken auf dem Gras gemütlich gemacht haben, aus Bierdosen trinkenden Jungs und ein paar vereinzelten Touristen.
Um neun Uhr geht das Feuerwerk los. Der Geruch verbrannten Holzes mischt sich mit dem Schwefeldunst der Raketen. Zugleich wird eine Strohnachahmung Guy Fawkes’ ins Feuer geworfen und lodert innerhalb von Sekunden hell auf.
„Ich bin Ire und damit katholisch. Diese Verbrennung eines guten Katholiken wie Guy Fawkes kann ich eigentlich nicht befürworten, ich bin nur meiner Kinder zuliebe hier.“ Jeweils eine Bierdose in der linken und rechten Hand balancierend, erzählt Barry allen Besuchern Geschichten aus seinem Leben, während das Feuerwerk langsam ausklingt und Yitkee und ich uns wieder auf den Weg nach Hause machen.
Die Bonfire Night ist vorbei, aber jetzt wird es wirklich Zeit, sich auf Weihnachten vorzubereiten. Die Geschäfte übertreffen sich schon seit Oktober gegenseitig mit ihren überschwänglichen Weihnachtsdekorationen und die ersten Tannenbäume gibt es auch schon zu kaufen.
„Die stellt man bei uns erst an Heiligabend auf“, erkläre ich Elli bei einem Einkaufstrip.
„Aber da hat man dann ja nur so kurz was davon! Wir stellen unseren Baum normalerweise am 1. Dezember auf und am 6. Januar wird er wieder weggeräumt, sonst bringt er einem Pech.“
Dadurch erklärt sich vielleicht die englische Vorliebe für Plastikbäume, denn welcher echte Tannenbaum hat nach fünf Wochen Heizungsluft noch viele Nadeln?
Eine sechswöchige Flut von Weihnachtskarten beginnt: Ich bekomme Karten von meiner Bank, von meiner Arztpraxis, sämtlichen Kollegen, und sogar von Tony Blair. Der grinst samt seiner Familie von der Tür von Number 10 aus dem Betrachter entgegen. Eine Milliarde Christmas Cards werden jährlich in Großbritannien verschickt, und es ist Brauch, seinen eigenen bescheidenen Anteil davon auf der Kommode aufzustellen oder besser noch auf dem Kamin. Viele englische Familien legen sich extra zu diesem Zweck einen Plastikkamin zu, der weder einen Rauchabzug noch eine echte Flamme hat, sondern aus nachgebildetem Keramikbrennholz und einer Gasflamme besteht. Ohne ein solches Kamin-Imitat ist das englische Wohnzimmer einfach kein Wohnzimmer, und außerdem fehlt sonst der geeignete Platz für die jährliche Kartensammlung.
Und wenn die Kartenkollektion zum größten Teil aus kitschigen Teddybär- und Rotkehlchenmotiven besteht, ist das ganz egal, solange eine akzeptable Anzahl von Karten zur Schau gestellt werden kann. Denn hieran kann man messen, wie beliebt ein Brite bei seinen Landsleuten ist. Wenn jemand behauptet, er finde diese Kartenprahlerei albern, und das Ganze gar als ungesundes
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