Ein Jahr in London
mich jemand mit dem Ellbogen leicht an, ich drehe mich um und Morrissey entschuldigt sich.Ich flüstere leise: „That’s o. k.“ , und mir wird es ganz warm ums Herz.
Innerhalb von wenigen Minuten ist Elli zurückgekehrt, hat ein weiteres Glas geleert und tritt entschlossen auf den berühmten Sänger zu.
„Hello Morrissey.“
Er schaut sie amüsiert an. „Hello.“
Eine lange Stille. Ich komme ihr zu Hilfe.
„Ich habe dich vor einigen Jahren in Köln spielen sehen. Es war fantastisch.“
„Ah ja, Köln. Der Dom und der Rhein, ich kann mich gut erinnern.“
Dann eine weitere Pause und er wendet sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Elli und ich schauen uns wie vor den Kopf gestoßen an.
„Hättest du nicht irgendwas Interessantes sagen können. Jetzt können wir ihn schlecht noch einmal unterbrechen, nur um wieder nichts zu sagen.“ Elli schaut mich an und sieht aus, als wäre sie kurz davor, zu weinen.
„ Du hast bis auf , hello‘ gar nichts gesagt!“
„ Sorry , ich weiß.“
„Tja, das war es dann wohl.“
Ich schiele hinter mich und denke mir, dass es ja schon toll ist, ihn überhaupt einmal getroffen zu haben. Man soll nicht zu gierig sein. Elli verschwindet auf die Toilette und ich versuche zuzuhören, was die beiden hinter mir sagen, aber sie reden viel zu leise. Dann ein weiterer Stoß mit dem Ellbogen. Ich drehe mich um, Morrissey ist auf dem Weg zur Bar und schaut mich an.
„Was trinkst du? Guinness?“, fragt mich Morrissey.
„Yes, please“ , bringe ich gerade noch heraus.
Ich bin im siebten Himmel. Der große, einzigartige Morrissey kauft mir ein Guinness! Zwar nur ein halbes Pint, wie sich bei seiner Rückkehr herausstellt, aber das Glas lasse ich gleich als Erinnerungsstück mitgehen. Mittlerweile ist er umringt voneiner ganzen Schar von Fans, die anders als ich und Elli keine Probleme zu haben scheinen, normal mit ihm zu reden, sondern sich angeregt unterhalten. Ich bin neidisch. Elli allerdings ist untröstlich.
„Typisch! Warum musste ich gerade in dem Moment, wo er zur Bar geht, in der Toilette sein! Das werde ich mir nie verzeihen.“
Dann gesellt sich eine dicke blonde Frau zu der Gruppe, die den Sänger umringt, und lässt ihn wissen, dass sein Taxi draußen auf ihn wartet.
„Schnell, das ist unsere letzte Chance, doch noch mal kurz mit ihm zu reden“, sagt Elli und geht auf ihn zu, aber die dicke Blondine schiebt sie zur Seite.
„Morrissey muss jetzt zum Taxi.“ Er grinst noch einmal schüchtern zum Abschied, und dann ist er draußen.
Wir bleiben im Pub zurück, untröstlich, weil es vorbei und er weg ist, andererseits euphorisch, ihn so unverhofft getroffen zu haben.
„Hatte ich dir nicht gesagt, er würde uns noch mal über den Weg laufen?“, sagt Elli seufzend.
„Wenigstens bekommen wir jetzt beide drei Punkte“, fällt mir ein, aber das ist auch kein großer Trost.
In den kommenden Tagen bin ich einerseits so aufgeregt über das Treffen, andererseits so geknickt, dass es so schnell vorbei war, dass ich direkt krank werde.
Außerdem habe ich schon seit den Weihnachtsferien den Fehler gemacht, die Wintermode der Engländer nachzuahmen, und nun muss ich dafür büßen. Mit einer dicken Grippe. Wenn man die Wintermode hierzulande betrachtet, könnte man den fehlerhaften Schluss ziehen, der Sommer würde nie enden. Kalte Winter wie in Deutschland gibt es im Süden Englands dank des warmen Golfstromes tatsächlich nur äußerst selten. Unter null sinken die Temperaturen in London meist nur ein Dutzend Mal pro Winter und das ist auch gut so, denn zu meinem Erstaunen gibt es selbst heutzutage noch viele Häuserohne Zentralheizung. Ich selber habe auch keine, sondern muss meinen kleinen elektrischen Heizer anwerfen, der so viel Energie frisst, dass mich jede warme Stunde ein ganzes Pfund kostet. Obwohl es Anfang Februar fast zehn Grad wärmer ist als in Deutschland, zittere ich pausenlos.
Doch so kalt es auch sein mag, sehen die meisten Engländer es als zutiefst unmännlich an, in den Wintermonaten einen Pullover oder gar einen Mantel zu tragen. Selbst bei Temperaturen um die null Grad ist es selbstverständlich, im T-Shirt einzukaufen (schließlich ist in den Läden ja geheizt) oder zum Pub zu gehen (wo man sich ja mit einem kleinen Whiskey schnell wieder aufwärmen kann). Komischerweise gilt das Gleiche, vielleicht sogar noch im größeren Rahmen, für die Frauen: Läuft man an einem Samstagabend im Januar bei minus zwei Grad durch eine beliebige
Weitere Kostenlose Bücher