Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
Vom Netzwerk:
zwischen den Gebäuden sind nicht gestreut worden. Und wenn eins der Kinder sich auf dem Schulgelände das Bein bricht, müssen wir haften. Also bleiben wir erst mal geschlossen.“
    Das, finde ich, ist ein vernünftiger Grund.
    „Den ganzen Tag?“
    Sie lacht. „Wenn wir Glück haben, die ganze Woche! Übrigens sind Sie bis auf Miss Duncan die einzige Kollegin, die sich überhaupt auf die Straße gewagt hat.“
    Etwas wundert mich dies schon, da ich von mehreren Lehrern weiß, dass sie nur zehn Minuten entfernt wohnen. Aberbeschweren werde ich mich über meinen unverhofften Feiertag wohl kaum, und so drehe ich halt um, fahre wieder nach Hause und gehe zurück ins Bett.
    Die nächsten Tage sind wunderbar. Ganz London hat frei und im Fernsehen werden ununterbrochen Sendungen mit Überlebenstipps ausgestrahlt, damit die Bevölkerung es durch die schweren verschneiten Tage schafft.
    Ein Mann im Pub erzählt mir, so gut gelaunt hätte er die Londoner bisher nur zweimal erlebt: beim ersten und vorerst letzten Weltmeisterschaftssieg der englischen Fußballnationalelf 1966 und dann 1977 beim Silberjubiläum der Königin.
    „Ich kann mich sogar noch an den Tag erinnern, der 7. Juni. Meine Kinder hatten schulfrei, die Werkstatt, wo ich damals arbeitete, war geschlossen, und überall fanden Straßenfeste statt.“
    Von Straßenfesten kann zwar diesmal nicht die Rede sein, was vielleicht auch an den Temperaturen liegt, aber eine festliche Stimmung gibt es allemal, und all dies dank ein paar Schneeflöckchen! Es lebe London.
    Nach drei Tagen ist aber auch der letzte dreckiggraue Restschnee weggeschmolzen und es hilft nichts: Die Arbeit geht weiter und die Schule auch.
    Meine erste Klasse nach den unverhofften Ferien ist meine geliebte Abiturklasse, bestehend aus nur drei Schülern. Zwei Schüler mehr als letztes Jahr, erzählt mir Miss Miller. Jemand, der seine A-Level , also sein Abitur, in Deutsch macht, wird das aus den gleichen Gründen tun, wie in Deutschland jemand Altgriechisch oder Latein wählen würde.
    Die diesjährige Klasse besteht aus Mike, der Makrobiologe werden will und mit seinen wilden, langen Haaren, runden Brillengläsern und allgemein etwas exzentrisch wirkendem Auftreten dafür wie gemacht zu sein scheint, Julie, einem netten, ruhigen Mädchen, das ein neues Wort nur einmal hören muss, um es nie wieder zu vergessen, und Sam. Sam ist von einer anderen Schule zu uns übergewechselt und spricht trotz gegenteiliger Bezeugung seiner früheren Lehrer kaum einWort Deutsch, will es aber unbedingt lernen, weil er zu wissen glaubt: „German girls are very pretty.“ Und gegen deutsche Autos hat er auch nichts.
    Unsere Doppelstunden jeden Dienstag- und Freitagnachmittag sind die einzigen Ruhepausen für mich und ich freue mich immer darauf, obwohl das höhere Sprachniveau das Unterrichten nicht leichter macht.
    „Wie sagt man denn Container auf Deutsch?“, fragt mich Mike zum Beispiel in einer Unterrichtsstunde. Ich überlege hin und her, aber mir fällt kein anderes deutsches Wort ein. „Tja, ehrlich gesagt sagt man einfach ,Container‘.“
    „Und Fan ?“
    „Tja, also, auch das heißt im Deutschen ebenso ‚Fan‘.“
    „Und Surfing ?“
    „,Surfing‘ ist ‚Surfen‘“, antworte ich, jetzt schon ein bisschen beschämt.
    „Denken Sie sich das auch nicht einfach so aus, weil Ihnen die deutsche Übersetzung nicht einfällt?“, fragt mich Sam.
    „Ich meine, Sie wohnen ja jetzt schon eine ganze Weile hier, da wäre das schon entschuldbar.“ Ich bedanke mich für sein Verständnis und versichere ihm, dass ich ihm keinen Unsinn erzählt habe.
    Die Beziehung vieler Deutscher zu England ist merkwürdig – einerseits machen wir uns lustig darüber, dass sie bei Schmuddelwetter mit in Zeitungspapier eingewickelten Pommes und Fisch herumlaufen, andererseits bewundern wir sie so sehr, dass mittlerweile keine einzige Werbung nicht mindestens ein englisches Wort enthält. Das einzige deutsche Wort hingegen, das regelmäßig in den englischen Medien benutzt wird, ist „Blitzkrieg“. Die Küche muss „geblitzt“, also geputzt werden, Manchester City wurde von Chelsea „geblitzt“, also hoch besiegt, und wenn man selber „geblitzt“ ist, hat man mal wieder zu viel gegessen.
    Ich muss also mein Bestes tun, zu erklären, dass es trotzdem noch wert ist, weiterhin deutsche Grammatik zu pauken.
    Umso größer ist dann der Schlag, als mitten in der Stunde die Tür aufgeht und Dr Clarkson eintritt.
    „Can I

Weitere Kostenlose Bücher