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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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nehme mir vor, in Zukunft nicht immer gleich das Schlimmste zu befürchten.
    „Was war denn? Hat James’ Vater schlechte Nachrichten?“
    „Oh nein, nur ein kleines Missverständnis“, lenke ich ab, und dann schellt es schon wieder.
    Diesmal ist es tatsächlich Ellis Mutter und ich teile ihr mit, dass ihre Tochter leider nicht zu Hause sei.
    Eileen lacht laut auf. „ You can’t fool me! Sag mir nicht, sie hätte sich plötzlich ein tolles Date geangelt! Wahrscheinlich sitzt sie gerade schmollend neben dir!“
    Ich nicke beschämt und überreiche Elli den Hörer.
    „Ja und, Mum? Du scheinst am Valentinsabend ja auch nichts Besseres zu tun zu haben, als deine Tochter anzurufen“, hält Elli dagegen.
    „Was ist eigentlich aus deinem Kellner geworden? Wolltet ihr euch nicht noch einmal treffen?“, fragt Elli mich später.
    Ich erzähle ihr also von den Ereignissen im Park vor ein paar Monaten, und sie nickt mitfühlend.
    „Englische Männer sind charmant und flirten gerne, aber so ganz ernst sollte man ihre Anmache nicht nehmen.“
    „Von Anmache konnte hier ja gar nicht die Rede sein. Und wenn überhaupt, hat ja nun auch nicht er mich angemacht, sondern ich ihn“, entgegne ich entrüstet. „Und mir war es sowieso ganz egal, ob mehr daraus geworden wäre oder nicht.“
    „Na ja, dann ist ja gut.“
    Am nächsten Tag bin ich so geknickt, dass mein Husten wieder stärker wird und ich in der Nacht kaum schlafe.
    Ich mache mich also wieder auf zu Dr Travernen.
    „ Sorry, aber der Doktor ist selber krank. Sie können sich aber beim Notarzt im Royal Free Krankenhaus melden.“
    So schlimm ist mein Leiden nun wohl doch nicht, und statt eines Arztbesuches trinke ich einfach weiter meine Hot Toddies. Yitkee bringt mir eine tägliche Zitronenration, und ich schäme mich, ihn schon wieder nachts wachzuhalten.
    Aber noch lästiger ist, dass mich der Husten natürlich auch beim Unterrichten behindert.
    „Bleiben Sie doch morgen ruhig mal zu Hause, ich glaube, sie könnten ein paar freie Tage gebrauchen.“ Leider kommt dies nicht von meiner Vorgesetzten, sondern von einigen Schülern, die darauf hoffen, mal wieder eine Vertretungsstunde zu haben.
    Ich kämpfe mich aber trotz Fieber weiter zur Arbeit und muss zur Strafe gleich selber Vertretung geben. Mein Kollege, ein Geschichtslehrer, der zu einem Fortbildungskurs muss, kommt zum Unterrichtsbeginn noch kurz rein, um den Kindern ihre Aufgabe für heute zu erklären: Sie sollen in ihrer nächsten Stunde so tun, als wären sie zu Ende des Krieges in Deutschland und müssten den Wachmann eines Konzentrationslagers interviewen.
    „Fangt mit einfachen Fragen an, also Nummer eins: Wie heißen Sie? Nummer zwei: Was ist Ihre Aufgabe? Dann später fragt ihr, warum sie die Juden so unmenschlich behandeln konnten. Alles klar?“
    „Alles klar!“, brüllen die Kinder, und schon verlässt er den Raum. Ich gehe durch die Reihen und schaue mir an, was so geschrieben wird.
    „Was ist denn ein typisch deutscher Name, Miss?“
    „Was für einen Namen soll ich dem Wachmann geben?“, fragt mich ein Kind nach dem anderen.
    „Adolf? Heinrich? Ich weiß es auch nicht.“
    Ich bin etwas ratlos, schließlich will ich ja nicht irgendeinen deutschen Namen in Verruf bringen.
    Ein kleines Mädchen schaut an die Tafel, an die ich meinen eigenen Namen geschrieben habe.
    Ein paar Minuten später zeigt sie mir ihr Heft: Den KZ-Wachmann hat sie Adolf Regeniter genannt. Ich finde das gar nicht lustig. Andere Varianten sind: Heinz Schweinsteiger, Boris Ballack, Adolf Podolski.
    „Haben Sie Hitler eigentlich schon mal persönlich kennengelernt?“, fragt mich ein Mädchen in der ersten Reihe, als ich einen Blick auf ihr Heft werfe. „Sind Sie seinetwegen aus Deutschland geflohen?“ Sie schaut mich interessiert an. Ich kläre sie auf, dass Hitler schon lange tot ist und ich keineswegs aus Deutschland geflohen, sondern aus eigenem Antrieb nach England gezogen bin.
    „Ach so, Sie sind also eine Asylbewerberin.“
    Ich weiß nicht, ob ich lachen oder mich beschweren soll. Leider fängt in diesem Moment wieder mein Husten an und ich nicke schnell, um weitere Fragen zu vermeiden. Ich huste und huste, während die Kinder um die Wette schreien und ich nicht mal etwas dagegen sagen kann. Nach Atem ringend schreibe ich ihre Namen an die Tafel, und daneben „20 Minuten Nachsitzen“, aber ich könnte genauso gut unsichtbar sein.
    Verzweifelt suche ich in meiner Tasche nach einem Hustenbonbon oder

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