Ein Jahr in New York
schon etliche legendären Filme gedreht hat und der indische Autor Salman Rushdie an seinen Bestsellern schreibt. Und meine Mitbewohnerin Valerie schlug sich hier als Schauspielerin durch.
Entscheidend war, die richtige Auslese aus diesem Feuerwerk an Möglichkeiten zu treffen. Dazu musste man fleißig seine Hausaufgaben machen. Ich fand diesen Informationsmarathon zum Teil sehr ermüdend. Deshalb war am besten, man kannte die richtigen Leute. Die, die immer Bescheid wussten. Denn wehe, man verpasste ein Highlight. Genau davon sprach dann garantiert jeder. Immer und immer wieder. „Lifechanging“, ein absolutes „must see“ – und man selbst stand dumm daneben und wurde zum passiven Zuhörer degradiert.
Dieser Hunger auf Kultur und Unterhaltung führte zwangsläufig zu langen Schlangen. Am Ende dieser Schlangen saßen Menschen mit Listen. Und auf dieser Liste zustehen bedeutete alles. Wie der eigene Name es manchmal schaffte, sich dort einzureihen, und manchmal einfach spurlos verschwand, war mir noch immer ein Rätsel. Ich schickte immer brav meine „rsvp-“ (répondez s’il vous plaît) E-Mails ab. Auf die folgte gelegentlich eine Bestätigung. Meistens jedoch willkürliche Stille. Dann stand man in voller Ausgeh-Montur am Eingang, vor einer Horde ungeduldig wartender Menschen, während der Finger des Türstehers in der S-Spalte suchend auf- und abglitt. „Sorry, ich kann deinen Namen leider nicht finden.“ Der Moment der Demütigung. Man kam nicht rein. Wenn man dann ganz großes Glück hatte, rief plötzlich jemand: „Nein, nein, sie ist mit mir hier, du kannst sie reinlassen!“ Dieser Retter in der Not gehörte offensichtlich zum begehrten sozialen Netzwerk.
Kultur ist für die meisten New Yorker keine individuelle Geschmackssache, sondern ein kollektiver Lifestyle. Das mag übertrieben klingen, aber Übertreibungen dienen der Verdeutlichung. Die Allianz zwischen Kultur, Glamour und Wohltätigkeit wird hier zelebriert und ist ein wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Lebens der Reichen und Schönen. Philanthropie als Verpflichtung ist in New York verwurzelt, seit der Eisenbahn-Magnat Carnegie der Stadt die berühmte Konzerthalle spendierte. Auf den Benefiz-Galen knallen guten Gewissens die Champagnerkorken, schließlich sammelt man feiernd für das Allgemeinwohl. Und zwar einige Milliönchen.
„Kultur scheint hier in der Luft zu liegen, ganz so, als ob sie Teil des Wetters wäre“, sagte der berühmte Schriftsteller Tom Wolfe über seine Wahlheimat. In seinem 552-Seiten-Bestseller „Fegefeuer der Eitelkeit“ sezierte er mit der gnadenlosen Präzision eines Chirurgen das New Yorker Lebensgefühl der Achtziger.
So wachte ich am Wochenende schon mit dem Gefühl auf, mich beeilen zu müssen. Es war früher Samstagmorgen, und ich hatte einiges vor. Ich sprang aus dem Bett, überlegte, ob ich noch kurz ein Telefonat mit meiner Mama vor die Yogastunde schieben sollte. Ich entschied mich dagegen und lief stattdessen die Treppe hinunter, um meine New York Times zu holen. Die wartete eingetütet vor der Haustür auf mich. Gesetzt den Fall, dass sie nicht, wie so oft, in aller Herrgottsfrühe geklaut worden war. Die Wochenendausgabe der New York Times, muss man wissen, ist neben dem Wochenmagazin „New Yorker“ die Informationsbibel der Stadt. Pflichtlektüre für alle, die wissen wollen, was los ist. Ein grober Kompass durch den Kultur-Dschungel der Stadt. Abonnenten bekommen schon am Samstag das begehrte Magazin und die Feuilletonbeilage. Der Rest muss bis Sonntagmorgen warten und bekommt dafür zwei Kilo Nachrichten, Reportagen und Kultur auf einen Schlag. Diese galt es, innerhalb von 24 Stunden zu bewältigen, denn am Montag war das Wochenende schon wieder News von gestern.
Während eines Sonntagsspazierganges durch Manhattan begegnete man der New York Times überall. Zusammengeklappt wird das Bündel Information durch die ganze Stadt getragen. Und gelesen. In der U-Bahn. Auf dem Spielplatz. Im Café. Im Park. Die New Yorker schleppen ihre Tageszeitung am Wochenende an jeden Ort. Irgendwo lässt sich immer noch kurz ein Artikel dazwischenschieben.
„Kommst du heute Abend?“, fragte Valerie, als ich vom Yoga zurückkam, „Jonathan kommt auch.“ Ich schaute sie an und runzelte ungläubig meine Augenbrauen: „Du glaubst doch nicht wirklich ...“
„Nein, ich weiß, war nur ein Spaß. Jonathan hat schon kapiert, dass da nichts zwischen euch laufen wird. Ich hoffe, du kommst
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