Ein Jahr in Paris
definitiv noch NIE gesehen hat?)
Alix, die sich prächtig amüsiert und mir andauernd den Ellenbogen in die Seite rammt, weil ich die Einzige bin, die kapiert, dass sie nicht über die Witze ihrer Gesprächspartner lacht. Alix also: „Ah, salut Rémi! Wie geht’s? – Meine Liebe, darf ich vorstellen: Rémi Krug.“
Ich, unschuldig und ahnungslos: „Hallo, Rémi.“ Ein Moment peinliches Schweigen.
Alix: „Sie kommt aus Deutschland.“
Rémi: „Was du nicht sagst! Meine Ahnen stammen aus Mainz.“
Ich: „Oh, tatsächlich. Dann bist du vielleicht mit dem Schauspieler verwandt? Manfred Krug?“
Stille. Schweigen. Kurz darauf ertränke ich mich im Pool.
Zum Glück kommt es anders. Schlimmer vielleicht. Alix wurde von irgendeiner strahlenden Delphine davongezerrt. Von Patrice und Bibi ohnehin keine Spur. Die beiden haben bereits auf dem Parkplatz jede Verantwortung für mein amusement abgelegt. So stehe ich allein im Schutze eines Oleanderkübels und trinke in allzu schneller Folge mehrere Gläser nacheinander.
„ Salut, ich bin Henri.“ Besticktes Poloshirt, der Kragen hochgestellt. Gel in den Haaren und eine weiße Hose. Wer hätte gedacht, dass die Neunziger ausgerechnet an diesem paradiesischen Ort überleben würden?
„Willst du tanzen?“
Warum nicht? Da muss man wenigstens nicht reden.
Es folgen ein paar coole Drehungen, nicht zu eng natürlich. Ich bemühe mich um Haltung, denn der Champagner prickelt in meinen Adern, und zu essen sehe ich hier weit undbreit nichts. Ich hätte auf Alix hören sollen, als die sich vor dem Aufbruch eine halbe Baguette mit Camembert belegte. „Basis schaffen“, murmelte sie zwischen zwei Bissen.
Da haben wir nun den Salat. Ich schwenke ein bisschen herum und lasse dabei die Blicke schweifen. Unter dem großen weißen Sonnensegel sehe ich Alix mit einer jugendlichen Ausgabe von Alain Delon stehen. Sie sieht mich und winkt. Ich winke, so fröhlich es geht, zurück. Neben mir versuchen sich zwei weibliche Schönheiten in einer Art Ausdruckstanz. Sie sind mager wie Barsoi-Windhunde – gute Abstammung, schwieriger Charakter, aufwändig in der Haltung.
Unterdessen sorgt Henri dafür, dass mein Glas ständig gefüllt ist. Was gäbe ich um eine gute deutsche Apfelschorle. Ach, Georg, wenn du mich jetzt sehen könntest. Aber wahrscheinlich würdest du mich nicht mal erkennen mit diesen blauen Augen und diesen Wahnsinnstretern, die ich mir gestern von meinem halben Gehalt gekauft habe. An der Kasse ist mir kurz ganz schlecht geworden, als mir klar wurde, wie viele Extra-Stunden im Reich der Lingerie das bedeuten würde. Aber die Eitelkeit hat gesiegt. „Sehen Sie, was für einen schönen Fuß die machen! Und mit einem Keilabsatz werden Sie in dieser Saison eine der Ersten sein.“
Na ja, ich sage solche Sachen auch immer. Schuhe oder Hüfthalter ist ja letzten Endes schnuppe, Hauptsache die Kundin ist happy.
War sie auch. Und jetzt tun ihr die schönen Füße weh, und betrunken ist sie auch. Zu betrunken, als dass sie den Geist von Simone de Beauvoir hören könnte, der etwas schadenfroh anmerkt, dass man den Stand der Emanzipation schon immer an der Höhe der Absätze habe ablesen können. Ist ja auch Unsinn, nicht wahr?!
Unterdessen hat jemand die CD gewechselt. Carla Brunisäuselt „Mes nuits sont blanches ...“ 21 Henri rückt näher. Mir ist schwindelig.
„Und was machst du so?“
So ein Blödmann. Aber wenn ich jetzt sage, dass ich Dessous verkaufe, dann läuft das genau in die Richtung, in der ich dieses Gespräch nicht haben möchte.
„Ich, äh ... bin Shop-Assistant.“ Das ist jetzt nicht mal gelogen.
„Wow, interessant!“ Das ist jetzt einfach nur gelogen. Er rückt noch näher.
„Bist du Schwedin?“
Na, das könnte dir so passen. Während der Rest der männlichen Welt Französinnen für das Sinnlichste überhaupt hält, glauben die Franzosen gerne, Schwedinnen seien der Gipfel der Freizügigkeit. Weil die sich bei der kleinsten Gelegenheit(Sonne!) die Kleider vom Leib reißen. Eine Erklärung dazu, dass dieses Phänomen gesellschaftlich ganz anders verwurzelt ist, erspare ich dem armen Henri trotzdem. Ich lächle einfach und nicke vage mit dem Kopf. Das ist nicht wirklich gelogen. Aber dann schieben sich plötzlich seine Hände an Alix’ Seidenkleid entlang. Ein herbes Aftershave weht mir entgegen. Er kann nichts dafür, aber mir wird schlecht. Ich muss hier weg und zwar schnell.
Auf dem Parkplatz laufen mir die Tränen über das
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