Ein Jahr in Paris
Gesicht. Ich heule wie ein Teenager und weiß nicht einmal genau, warum. Vielleicht weil ich nirgendwo richtig hingehöre? Ich hatte es mir so einfach vorgestellt: Weggehen mit nicht viel mehr als einem Koffer und woanders weiterleben. Die Sache ist: Man kann seine Freunde nicht mit einpacken. Das macht der Zoll nicht mit, keine Chance. Stattdessen stopft man Kleider und Schuhe hinein. Aber Kleider und Schuhe bekommt man überall.
„Guten Tag, dies ist die Mailbox von Georg Greflinger. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe zurück.“
„Georg, hallo. Ich bin’s. Warum magst du denn die Franzosen nicht, verdammt! Kannst du nicht trotzdem herkommen? Wir könnten Baguettes mit Camembert essen und uns ein schönes Leben machen. – Pause – Du fehlst mir. Mach’s gut.“
Von dort, wo ich das Meer vermute, weht eine kühle Brise her. Ich ziehe die Schuhe aus und laufe barfuß nach Saint-Tropez zurück. Bald wird es hell werden. Aus einer Bar stolpert ein ineinander verschlungenes Paar. Vielleicht hat hier gerade wieder ein Champagnerduell für 390 000 Euro stattgefunden. Das soll es schon gegeben haben. Der Mann schreit nach einem Taxi. Bald werden sie schlafen, mit schwerem Kopf, bis in den Mittag hinein, wenn die Sonne schon hoch steht. Sie werden das „andere“ Saint-Tropez niemals kennenlernen, von dem die Schriftstellerin Colette schrieb: „L’autre Saint-Tropez. Il existe encore. Il existera toujours pour ceux qui se lèvent avec l’aube.“ Das ist das Fischerdorf am Meer, dessen Bewohner einst zwanzig bis unter den Mast bewaffnete spanische Galeonen in die Flucht schlugen. Heute kommen nur noch Luxusyachten, deren Besitzer die Nachkommen der Fischer anheuern, um auf Thunfischjagd zu gehen. Dass sie das an einem der schönsten Orte der Welt tun, ist ihnen gleichgültig. Keiner von denen interessiert sich für das Meer. Zum Glück interessiert sich das Meer auch nicht für sie, denke ich. Es war vor ihnen da und wird es lange nach ihnen immer noch sein.
Ich stehe am Strand und zähle die Wellen, die an das Ufer rollen. Bei 350 höre ich auf. Ist die Zahl der Wellen, die an einen Strand rollen, wichtig?
P.S. Vouz avez trois nouveaux messages. Premier message, reçu aujourd’hui à 7.30 h: „Oh Mann, großer Katzenjammer, was? Hör zu, ich kann leider noch nicht denken. Aber ich ruf dich später an, okay? Nur eines kannst du dir schon mal aus dem Kopf schlagen: Ich komme ganz sicher NICHT, um mit dir Käse zu essen. Ich hasse Camembert, falls du dich erinnern magst. Ciao, Georg.“
Deuxième message, reçu aujourd’hui à 7.35 h: „Du mir auch.“
Troisième message, reçu aujourd’hui à 12.40 h: „ He, wo steckst du?! Ich bin’s, Alix. Na ja, ich hoffe, es ist alles okay mit dir. Melde dich, ja!?! Salut. Bisou .“
16 Das Wort flirten etwa stammt keinesfalls aus dem Englischen, sondern leitet sich von dem Begriff conter fleurette her. Wörtlich bedeutet das „Blümchen erzählen“, im traditionellen Sinne war damit jedoch gemeint, einer Frau gegenüber galant zu sein, ihr den Hof zu machen.
17 Etwa: „Armes unschuldiges Reh!“
18 Der Mann schlägt vor, und die Frau entscheidet.
19 Dt.: Macht nichts.
20 Es handelt sich um eine Reproduktion der Flamme, welche am Eingang von New York aus der Fackel der Freiheitsstatue lodert. Sie wurde der Stadt Paris von den Vereinigten Staaten zur Erinnerung an deren großen Sohn Frédéric Auguste Bartholdi als Geschenk vermacht. Bartholdi ist der Mann, der die 1886 aufgestellte Statue of Liberty entwarf. Das Gipsmodell befindet sich heute im Musée des Arts et Metiers.
21 Carla Bruni war erst Topmodel und dann Frankreichs schönste Chanson-Sängerin, und einen Sommer lang konnte man ihren Song „Raphaël“ in ganz Paris hören. Die Geschichte dazu: Bei einem Wochenende auf dem Land verliebt sich Carla in den Philosophen Raphaël Enthoven. Das Problem dabei: Er ist verheiratet und sie eigentlich mit seinem Vater zusammen. Es folgt ein richtig schöner Pariser Gesellschaftsskandal, aus dem das junge Paar als glücklicher Sieger hervorgeht. Nachzulesen ist das alles in dem Roman „Nicht so tragisch“ von Justine Lévy. Sie muss es wissen, sie war nämlich die Frau von Raphaël Enthoven. Außerdem ist sie die Tochter von Bernard-Henri Lévy, dem Philosophen mit den vielen Frauen von Seite 62f, der wiederum mit Raphaëls Vater, also dem Exmann von Carla Bruni, sehr gut befreundet war. Sie sind ein wenig verwirrt jetzt? Aber so ist es:
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