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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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Nicht mal Skandale sind in Frankreich einfach. Immer muss alles wahnsinnig kompliziert sein und man selbst unglaublich gut informiert, um den wahren Gehalt einer Nachricht ermessen zu können. Ansonsten wird man ein Lied einfach nur für ein Lied halten. Aber das hier gilt nicht nur für Chansons.

September – Lesen Sie Le Monde?
    5. Kapitel, in dem das Glück der Rückkehr gefeiert, eine Ratatouille gekocht wird, und Monsieur Jacques mit Neuigkeiten aufwartet.

    Erkenntnisse: Fische weinen nicht.
    Aufgabe des Monats: Zwiebeln bräunen und Kunst verstehen.

    L A RENTRÉE! Die Rückkehr, das Ende der Ferien. Ein bacchantisches Ereignis, das sich in jedem Jahr pünktlich zum 1. September wiederholt. Keinen Tag früher. Am 31. August deutet noch nichts darauf hin. Stille in den Straßen, verrammelte Läden, spätsommerliche Depression. Und dann plötzlich am Morgen des Ersten: infernalischer Lärm auf den Straßen, Autos, Menschen, Abgaswolken. Alle sind wieder da und deswegen glücklich. Endlich wieder über die Place de la Concorde rasen! Endlich wieder beim Bäcker Schlange stehen! Endlich wieder Ruß und Dreck und Lärm! Man war allzu lange weg, unter Fremden, in der Provinz. Überhaupt ist Paris zu verlassen nur unter einer Bedingung möglich: dass das Ende eines solchen Aufenthaltes und damit die Rückkehr ( la rentrée !) in die einzige Stadt der Welt von vornherein feststehen. Sommerferien schön und gut, aber das Zentrum der Erdumdrehung ist nun einmal hier. Warum sollte sonst das Foucault’sche Pendel hier hängen, nicht wahr?!
    Ich glaube, die einzige Bedingung, unter der ein Pariser bereit ist, seine Stadt zu verlassen, ist die, dass er mit Sicherheit weiß, dass die anderen auch nicht da sind, und er somit nichts verpasst. Deswegen reist man gemeinsam fort, und hat dann hinterher sogar noch einen Grund, eine große fête zu begehen. Denn nichts anderes ist la rentrée . Die Geschäfte dekorieren entsprechend, Schulkleidung für die Kinder und für Madame la nouvelle tendance des Herbstes; das Radio bringt Sondersendungen zum Thema; in Büros und Geschäften werden Luftküsse verteilt und Urlaubsberichte ausgetauscht. Einkaufen dauert jetzt wieder eine dreiviertel Stunde länger, aber niemand regt sich darüber auf. Schließlich ist es ja immer so.
    Seit Paris weiß ich, dass man kein buddhistisches Kloster besuchen muss, um das Loslassen von Zeit und Raum zu lernen. Eine Kassenschlange bei Monoprix tut es auch.

    „Oh la la, ça bouge!“ , rief Alix, als sie nach ihrem ersten Arbeitstag aus der Galerie kam. Hinter ihr erschien Jean-Luc, der nicht so aussah, als habe er sich in den vergangenen Wochen einem einzigen Strahl Sonne ausgesetzt. Ich hoffte für ihn, dass er wenigstens nicht die ganze Zeit gelesen hatte. Auch er jammerte, er habe zweimal eine Metro auslassen müssen, bis er endlich Platz gefunden habe. Aber heimlich waren beide glücklich, dass sie wieder da waren. So wie ich auch. Denn es gibt nichts Bedrückenderes als eine leere Stadt. Aber davon konnte nun keine Rede mehr sein. 9,6 Millionen Pariser, die Vororte mitgerechnet, 12 860 Restaurants, in denen man wieder etwas zu essen bekam, 180 Theater und unzählige Galerien, in die man gehen musste, und nicht zu vergessen der weibliche Teil von gut zwei Millionen Touristen, die jeden Monat versorgt werden wollten. Unter anderem mit Unterwäsche.
    Es lief jetzt besser. Ich konnte 80 B von 80 C unterscheiden, und meist genügte ein kurzer Blick auf Kleidung und Make-up einer Kundin, um zu wissen, ob ihr mit einem Stringtanga von „Agent Provocateur“ oder doch eher mit dem „klassischen Modell“ des Schlüpfers gedient war. Meistens jedenfalls.
    „Wenn Sie mich vielleicht bedienen wollen?! Dann wäre uns beiden weniger langweilig.“
    Vor mir steht ein kleiner alter Besen mit Kastenhandtasche und Schildkrötenbrille und wedelt mit einer schwarzen Spitzengarnitur. Soweit ich erkennen kann: sündhaft teuer. Ihrem boshaften Blick ist zu entnehmen, dass es ihr Spaß macht, Dienstboten zu quälen. Ich setze also mein freundlichstes Lächeln auf. „Aber selbstverständlich Madame. Wirklich ein wunderhübsches Geschenk für ein junges Fräulein. Soll ich es für Sie einpacken?“
    „Non-sens! Papperlapapp!“, faucht sie. „Ihr Seidenpapier können Sie sich sparen. Ich ziehe das Zeug selbst an.“
    Marie-Line, die alles mitbekommen hat, grinst. „Du hast Glück gehabt. Normalerweise findet sie immer noch etwas an der Ware auszusetzen und

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