Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
Vom Netzwerk:
machen. Monsieur Jacques schenkte chinesischen Tee nach und dann plauderten die beiden munter drauflos, als täten wir dienstagnachmittags nie etwas anderes. Unser Thema heute: das Leben in Frankreich im Allgemeinen und in Paris im Besonderen beziehungsweise das schönste Land und die beste Stadt der Welt. Pourquoi pas , dachte ich und fügte mich drein, meinen freien Tag einfach zu vergessen. Was ich damals noch nicht wusste: Diese rosaroten Nachmittage waren Monsieur Jacques’ Geheimnis. Denn bei Claudine Lefèvre handelte es sich um seine Geliebte.
    „Was glaubst du, warum Madame Piceur so sehr darauf brennt, die Wohnung zu verkaufen?“, grinste Alix, als sie mich über Monsieurs Teestunden aufklärte.

    Nachdem Claudine mit vielen grauen Katzenhaaren am Rock die Rue du Rocher No. 8 verlassen hatte, konnte man zum zweiten unverzichtbaren Bestandteil eines jeden Piceur’schen Parisaufenthaltes übergehen: dem gemeinsamen Abendessen. Er liebte es. Die Reihenfolge war immer dieselbe. Es begann damit, dass Monsieur unsere Mieten kassierte. Dann stopfte er die eingenommenen Scheine lässig in die Hosentasche und machte sich auf eine kleine Runde durchs Viertel. Traiteur , Gemüsemann, Bäcker, Fromagerie . Anschließend kehrteer schwer beladen heim, breitete seine Schätze in der Küche aus und öffnete die erste Flasche. Alle mussten kommen und mittrinken. Ich muss zugeben, dass es mir manchmal in der Seele wehtat, zuzusehen, wie er mein sauer verdientes Geld verprasste: Champagner, Ziegenkäse, Steinpilze, frische Feigen, riesige Camemberts, Pâtes, Mousse au Chocolat, die eine oder andere Flasche Châteauneuf-du-Pape. Andererseits konnte man ihm keinen Vorwurf machen. Schließlich würden wir im Verlaufe des Abends alles gemeinsam aufessen. Jeder bekam eine Aufgabe, und wenn alles geschält, geschnitten und geputzt war, lernten wir unter Monsieurs Aufsicht die Zubereitung avancierter französischer Hausmannskost. Keine Zwiebel wurde gebräunt, ohne dass er diesen Vorgang nicht überwacht hätte. Ich glaube, er ging – nicht zu Unrecht – davon aus, dass keiner seiner Untermieter allzu viel Zeit am Herd verbrachte. Zuerst fand ich diese Abende irgendwie lästig, ich mag nicht herumkommandiert werden, und als etwas anderes konnte man seine Anleitungen wirklich nicht bezeichnen. Heute vermisse ich diese Abende unter der Korblampe, und obwohl ich jedes Gericht dutzende Male nachgekocht habe – es hat nie wieder so gut geschmeckt wie damals. Aber auch das habe ich bei Monsieur Jacques gelernt: Ein gutes Essen ist etwas Herrliches und außerordentlich selten. Und es lässt sich (fast) nie in derselben Art und Weise wiederholen.

    An diesem Abend – unser Patron hatte beschlossen, dass es eine Ratatouille geben würde – fehlte Alix. Monsieur passte das gar nicht. „Immer kommt sie zu spät!“, klagte er. „Aber das kommt daher, dass man heutzutage in den Familien nicht mehr gemeinsam isst. Nur noch fast food , wo soll da soziale Verbundenheit entstehen?!“
    Bevor er jedoch zum Verfall der Nation kommen konnte,klingelte das Telefon und Alix kündigte ihr baldiges Erscheinen an – in Begleitung von Xing, dem göttlichen Maler. Monsieur Jacques schwankte einen Augenblick zwischen Eifersucht und Freude, beschloss dann aber, die Gelegenheit nicht ungenutzt zu lassen, einem Fremden die Größe von la cuisine française zu demonstrieren. In höchster Eile wurde umdisponiert und Jean-Luc mit der Aufgabe betraut, von irgendwoher einen ganzen Hasen zu beschaffen, küchenfertig, versteht sich.
    Als Alix schließlich mit dem ahnungslosen Xing in der Tür stand, waren Jean-Luc und ich schweißgebadet, hatten aber ein tadelloses Viergangmenü zu Stande gebracht. Salat mit Roquefort und Nüssen. Hase in Estragon. Ratatouille. Käse. Crème brûlée (zugegeben, die war gekauft). Monsieur hatte sich derweil um die Temperatur des Weins gesorgt. Was einen Franzosen so glücklich macht. Oder machte. Denn er hatte natürlich Recht. Auch in Frankreich ist „le tout-prêt“ , das Fertiggericht, auf dem Vormarsch. Es trifft dessen Gegner umso härter, als dass es nicht nur einen Verlust der familiären Tradition bedeutet, sondern vor allem ein Zeichen fortschreitender AMERIKANISIERUNG ist. Auch dazu hatte Monsieur eine dezidierte Meinung. Jetzt aber reichte er die zweite Flasche Champagner und rief: „Santé!“
    Wie sich herausstellte, sprach Xing außer seiner Muttersprache nur Englisch. Damit konnte er bei Monsieur Jacques

Weitere Kostenlose Bücher