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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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entstanden, und natürlich die ‚Chinatowns‘ in Belleville und im 11. und 13. Arrondissement. Wenn du Lust hast, fahr mal zu ‚Tang Frères‘ in der Rue d’Ivry. Das ist Paris ältester asiatischer Supermarkt. Du kannst Stunden dortverbringen, ohne ein Wort Französisch zu hören. 22 Das Problem heute ist, dass viele Immigranten illegal hier sind. Sie sprechen kaum französisch und haben keine Aufenthaltsgenehmigung. Wenn sie von den Behörden erwischt werden, kann es sein, dass man sie abschiebt.“
    „Aber du willst mir jetzt nicht weismachen, dass die sich auf der Vernissage eines Pekinger Dissidentenkünstlers tummeln.“
    „Wie ich schon sagte, es ist vielschichtiger: In den 80er Jahren, vor allem nach dem Massaker auf dem Platz desHimmlischen Friedens, emigrierten auch viele chinesische Künstler und Intellektuelle nach Paris. Andere haben hier studiert und durften anschließend wegen regimekritischer Äußerungen nicht mehr nach China einreisen. Sie bilden eine ganz eigene communauté ...“
    „So wie wir auch“, sagte ich. Doch Jean-Luc hörte mich nicht.
    „ ... und dann darfst du natürlich nicht die vietnamesischen, koreanischen und kambodschanischen Einwanderergruppen vergessen! Es leben über zwanzigtausend Asiaten in Paris. Nach dem Indochinakrieg zum Beispiel ...“
    „Jean-Luc“, versuchte ich, ihn möglichst sanft zu unterbrechen, „das ist sicher alles sehr interessant, aber meinst du nicht, wir sollten jetzt lieber noch etwas aufräumen, bevor Monsieur Jacques eintrifft?“
    „Wie? – Oh. Ja. Vielleicht hast du Recht.“
    „ Très bien. Dann mache ich die Küche, und du könntest vielleicht die Katzenhaare vom Sofa saugen. Paul verliert verdächtig viele Haare zurzeit.“
    „Ja, ich mache mir auch schon Sorgen. Vielleicht sollte ich mal mit ihm zum Tierarzt gehen?“
    „Ach, weißt du. So eine Katze ohne Haare hat auch ihren Reiz. Dann hätte auch dieser Typ von Alix keine Allergieprobleme mehr – wie hieß der noch gleich, Jérôme?“
    Jean-Luc schmollte ein wenig, holte aber dennoch den Staubsauger. Wenig später sah ich einen entsetzten Kater Paul durch den Flur rennen. Er hasste Lärm jeglicher Art, und den Staubsauger hielt er für eine wahre Höllenmaschine. Zu seinem Glück kam der bei uns nicht allzu oft zum Einsatz. Jetzt aber musste es sein. Monsieur Jacques hatte sich angekündigt, und obwohl wir sicher waren, dass unser Vermieter den Unterschied überhaupt nicht wahrnehmen würde, führte eine innere Verpflichtung dazu, dass dem monatlichenZahltag immer ein Putztag vorausging. Kein Spaß bei all dem Nippes. Andererseits hatte der Minimalismus im französischen Großbürgertum nie eine Chance. Monsieur Jacques jedenfalls hielt Design für etwas, das in H.L.M.-Wohnungen 23 gehörte.

    „ Bonjour , meine Liebe. Comment ça va ? Was machen Ihre Sprachkenntnisse? Lesen Sie Le Monde?“
    Monsieur trug die gleiche rostbraune Cordhose wie immer, war aber offenkundig beim Friseur gewesen. Gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft hatte er mir empfohlen, vielleicht auch be-fohlen, täglich Le Monde zu studieren und jedes mir unbekannte Wort herauszuschreiben und nachzuschlagen. Seiner Meinung nach die effektivste Methode, eine fremde Sprache zu lernen. Ich hatte es ein einziges Mal versucht. Danach musste Georg mich mal wieder telefonisch trösten und mir sagen, dass ich schon ganz gut Französisch könne und es nicht meine Schuld war, dass ich beinahe die gesamte Zeitung hätte abschreiben können. „Das wäre doch umgekehrt so, als würdest du hier so einem armen Franzosen, der gerade drei Monate unter uns weilt, das Feuilleton der FAZ in die Hand drücken!“, rief er. „Der würde auch weinen.“
    Das half. „Wusstest du“, schnupfte ich, „dass es diesen Begriff im Französischen gar nicht gibt? Feuilleton bedeutet hier Fortsetzungsroman.“
    „Na ja“, knurrte er, „da haben diese Franzosen ja ausnahmsweise sogar mal Recht.“
    Seither las ich jedenfalls Libération und hatte keinerlei schlechtes Gewissen dabei. Natürlich belog ich Monsieurjetzt trotzdem. Daraufhin wurde ich von ihm zu einer Tasse Tee eingeladen.

    „ Bonjour Mademoiselle , ich bin Claudine Lefèvre. Aber nennen Sie mich einfach Claudine.“
    Sie saß auf dem Sofa, direkt auf Kater Pauls Lieblingsplatz, nippte am Sèvres-Porzellan und sah aus wie eine Bonbonniere von Lafayette. Alles an ihr war rosa, oder sagen wir ruhig hot pink , und es fehlte nur noch eine Schleife, um das Ensemble perfekt zu

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