Ein Jahr in Paris
II –
Kleine Anleitung zum Pariserin-Sein
– Zur Begrüßung gibt die Pariserin zwei Küsschen, nicht mehr und nicht weniger.
– Man darf niemals: Zeit haben. Es muss ungeheuer schwierig sein, Sie zu erreichen, von einem Rendezvous ganz zu schweigen. Sagen Sie immer „Oh, ich muss los!“ und wie sehr Sie es hassen, dauernd zu spät zu kommen.
– Kommen Sie trotzdem immer zu spät. Sie können auch erst gegen Ende des Abends erscheinen, natürlich waren Sie dann vorher woanders eingeladen. Auch der umgekehrte Weg ist möglich: Gehen Sie zu früh mit dem Hinweis, noch anderweitig erwartet zu werden. Die Botschaft bei all dem ist klar: Sie sind ungeheuer begehrt.
– Dazu gehört auch das téléphone portable , aber nur, wenn es oft klingelt.
– Falls Sie rangehen, sagen Sie nicht „Bonjour, comment ça va?“, sondern „Salut, t’es où?“
– Für das Ende einer Unterhaltung gibt es zwei Möglichkeiten. Am Telefon sagen Sie: „ Bon, allez, je t’embrasse “, selbst wenn es sich um jemanden handelt, den man nicht einmal annähernd umarmen würde. Die zweite Möglichkeit lautet: „On s’appelle.“ Heißt wörtlich: Wir telefonieren. Bedeutet in Wahrheit: Du kannst mich anrufen, wenn du es nötig hast. Ich werde es jedenfalls nicht tun.
– Seien Sie auf keinen Fall von irgendetwas hingerissen. Ein Film, Sänger oder Schauspieler ist maximal „nichtschlecht“; ein Mann sieht „ganz gut“ aus, die neuste Bar wiederum ist „pas mal“ .
– Männern im Allgemeinen schenken Sie nicht allzu viel Aufmerksamkeit. (Was ein Problem darstellt, denn der Pariser Mann möchte das Gefühl haben, jeder seiner Sätze sei eine Offenbarung. Vielleicht endet deshalb jede zweite Pariser Ehe in Scheidung.)
– Was Ihre Ausdrucksweise angeht: Sie dürfen an ausgesuchten Stellen willentlich vulgär sein – solange die Grammatik lupenrein bleibt. Falls Sie Slang sprechen, dann nur, wenn Sie sicher sind, auf dem neusten Stand zu sein.
– Pflegen Sie Ihren Snobismus. Sagen Sie „Neulich in New York hatte ich den Eindruck, die Mädchen seien besser angezogen als gewöhnlich“ anstatt „Ich finde New York großartig“. Und falls es Ihnen gelungen ist, Samstagabend einen Tisch im angesagtesten aller Restaurants zu ergattern, tun Sie dies mit einem „Mein Gott, was war das laut im ...“ kund.
– Fürs Tägliche gilt: Freunden Sie sich mit den Verkäuferinnen und den Markthändlern an. Sie wollen schließlich nicht Schlange stehen, n’est ce pas?
Für Sie klingt das alles arg gekünstelt? Das ist richtig, aber von
Natürlichkeit hält eine Pariserin gar nichts. Das ist etwas für
die Provinz und für Touristinnen, und wer einmal eine kleine
Pariserin mit ihrer Mutter beim Coiffeur beobachtet hat,
ahnt, dass es sich hier um traditionelle Riten handelt. Schon
im Kindergartenalter werden zukünftige Parisiennes bezupft
und geschmückt und in rosa Röckchen gesteckt. Jede eine kleine
Prinzessin. Aus den Prinzessinnen werden dann Königinnen.
Sehr viele. Lassen Sie sich von scheinbarer Unbekümmertheit
nicht täuschen. Seit den großen Tagen von Versailles
ist die Pariserin Meisterin unzähliger Tricks wider den natürlichen
Wuchs. Revolution hin oder her. Nicht von ungefähr
wurde das 18. Jahrhundert das Jahrhundert der Frauen genannt,
und es war zugleich das Jahrhundert Frankreichs. Damals
wurde die Pariserin geboren und seitdem ist sie festen
Schrittes (und auf wechselnd hohen Absätzen) bis zur Fünften
Republik marschiert. Überhaupt, ihr Gang. Daran erkennt
man sie schon von weitem. Weit ausgreifend, als seien die
Boulevards für sie allein angelegt worden, schnell, aber nie
hastig, und immer noch langsam genug, damit ihr nicht etwa
eine wichtige Schaufensterauslage entgeht. Nebenbei kann
sie durchaus noch über einen Satz von Wittgenstein oder das
nächste Kundenmeeting nachdenken, das ist für eine Pariserin
kein Hindernis. Im Gegenteil, es ginge geradezu gegen
ihre Ehre, wenn sie im Leben nichts anderes täte als an Shopping
zu denken. Sie ist kein Modepüppchen, aber sie genießt
sich selbst und das Glück, als Frau in der schönsten Stadt der
Welt geboren zu sein, in vollen Zügen. Der Rest ist eine Frage
des Ausdrucks. Stendhal, der scharfe Beobachter, schrieb
1828 über die Pariserinnen: „Welche Welt an Bedeutungen sie
in ein Lächeln legen können oder einen Augenaufschlag!“
Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Pariserinnen
sind unnachahmlich und großartig. Sie wollen
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