Ein Jahr in Paris
XVII. hätte werden sollen. Doch dazwischen kam die Revolution. Das Königspaar wurde auf der Place de la Concorde, die damals Place de la Révolution hieß, geköpft und auf einem Massenfriedhof verscharrt. Ihre beiden Kinder Marie Thérèse und Louis Charles aber hielt man weiterhin im Prison du Temple gefangen. Der kleine Prinz war zehn Jahre alt, als er 1795 plötzlich an Tuberkulose starb. Kurz vor seinem Tod bat er einen seiner Wächter ans Bett und flüsterte „Ich muss Ihnen sagen, dass ...“. Aber er war schon zu schwach. Zurück blieb ein Geheimnis. Es gab eine Obduktion, bei der der königstreue Arzt das Herz des Thronfolgers entfernte und konservierte. Aber war es überhaupt der Prinz, der da auf dem Friedhof Sainte-Marguerite begraben wurde? Seine Gebeine hat man später jedenfalls nie wieder finden können. Es gab einige, die behaupteten, es handele sich um ein ganz anderes Kind, einen Doppelgänger, während der echte Dauphin von Frankreich verschleppt worden sei. Als Anstifter kam nur einer in Frage, der feiste Graf de Provence, Louis’ Onkel, der sich auf diese Weise selbst zum Thronerben machen wollte. Jahrelang hatte dieser jüngere Bruder Louis’ XVI. heimlich auf seine Chance gewartet. Jetzt musste er nur noch abwarten, bis die Zeiten für die Bourbonen wieder günstiger wurden. Leider kam ihm ein kleiner Korse dazwischen. Erst zwanzig Jahre später, als die Franzosen endgültig genug hatten von ihrem Napoléon, konnte der Graf de Provence endlich unter dem Namen Louis XVIII. den Thron besteigen. Aber die Gerüchte waren die ganze Zeit über nicht verstummt. Immer wieder tauchten junge Männer auf, diebehaupteten, Louis XVII. zu sein. Nur beweisen konnte es keiner.
„Und das Herz des kleinen Prinzen?“
Fast zweihundert Jahre lang wechselte es immer wieder den Ort und den Besitzer, bis man es 1975 hierher brachte, nach Saint-Denis. Viele bezweifelten jedoch, dass es sich tatsächlich um das echte Herz handelte. Außerdem gibt es noch heute Nachfahren eines angeblichen Louis VXII., die sich „de Bourbon“ nennen und behaupten, das Ganze sei ein Schwindel. Vor ein paar Jahren haben dann der Duc de Bauffremont-Courtenay, Vorsitzender der Denkmalstiftung zu Saint-Denis, und der Historiker Philippe Delorme eine DNA-Analyse angeregt. Man hat Zellen von zwei lebenden Verwandten der österreichischen Kaiserin Maria-Theresia, der Mutter Marie Antoinettes, mit denen des angeblichen Herzens von Louis-Charles verglichen, und nun ist das Rätsel gelöst: Er war es tatsächlich. Die falschen de Bourbons behaupten jetzt, das sei wieder eine conspiration , um sie zum Schweigen zu bringen.
„Gibt es eigentlich noch echte Bourbonen?“, fragt Georg in die Stille hinein.
„Ich weiß nicht. Wir könnten Jean-Luc fragen.“
„Na komm, Prinzessin, dann fahren wir mal nach Hause. Ich habe Hunger.“
Das ist ein Problem. Meine WG möchte nämlich, dass Georg und ich zu Ehren seines Besuchs „deutsch“ kochen. Ich habe ihm davon natürlich nichts erzählt. Er hätte die Idee womöglich gut gefunden, und wenn ich eines nicht will, dann ein weiteres Mal als Geschmackstrottel dastehen. Le Munster habe ich noch nicht verdaut. Und welches deutsche Urgericht sollte man auch kochen? Rotkohl und Knödel? Backfisch mit Bratkartoffeln? Schweinebraten mit Kruste? Es gilt immerhin zu bedenken, dass gerade Austernzeit ist. Und hatJean-Luc mir nicht neulich erst gestanden, wie sehr er immer die deutschen Schulkinder bedauert habe, von denen seine Eltern ihm berichteten, diese armen Geschöpfe müssten schon zum Frühstück „Wurst“ essen. Damit ist er nicht der Einzige, der solchen Vorstellungen anhängt. Von einem französischen Weinbauern existiert die Aussage, das Schlimmste an den Zwangslieferungen während der Besatzungszeit sei die Vorstellung gewesen, die Deutschen würden seinen kostbaren Margaux zu Sauerkraut und Würstchen trinken.
Also kein chou vert 34 in der Rue du Rocher. Wir werden einen echten Saint-Deniser Couscous mitbringen, das erscheint mir exotisch genug.
Im Hinausgehen versuche ich noch schnell Georgs Aufmerksamkeit auf Louis XVI. und Marie Antoinette zu lenken, deren Gebeine man erst lange nach der Revolution zu suchen begann, um sie hier in Saint-Denis zu bestatten. Die Königin zum Beispiel hat der Totengräber an ihrem Strumpfband wiedererkannt. Doch Georg ist dafür nicht mehr zu begeistern. So erzähle ich ihm, als wir die Metrolinie 13 an der Madeleine verlassen, auch nichts davon,
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