Ein Jahr in San Francisco
ältestem Networking-Mixer!“, ruft Myles den Anwesenden entgegen, während er sich durch sein stoppeliges Haar fährt. Applaus. Er macht ein paar Klicks auf seinem MacBook, und auf der breiten Leinwand hinter ihm leuchten uns in fetten, weißen Buchstaben die Worte entgegen: „I’ve missed more than 9000 shots in my career. I’ve lost almost 300 games. (…) I’ve failed over and over and over again in my life. And that is why I succeed.“ – „Leute, wisst ihr, wer mehr als 9000 Würfe verspielt, fast 300 Spiele verloren und immer wieder versagt hat?“, fragt Myles. „Michael Jordan“, flüstert mir Vijay von rechts zu. „Michael Jordan!“, ruft Myles in die Menge. Spontanes Klatschen! Vijay grinst. „Richtig, der weltbeste Basketballspieler! Hat er trotz all der Niederlagen aufgegeben?“ Myles macht eine symbolische Pause. „Not at all!“, ruft ein Typ mit langen lockigen Haaren neben mir, und ich wundere mich ein bisschen über den Enthusiasmus, der im Publikum herrscht. „Right, never!“, ruft Myles zurück. Myles zeigt auf die Leinwand hinter sich – auf dieser erscheint nun das Bild des Sportlers. „Michael hat immer wieder verloren, doch das war der Preis und auch die Voraussetzung für den Sieg.“ Die Menge klatscht.
Diesen „Spirit“, Fehler zu machen und daraus zu lernen, haben viele der hier Anwesenden im Blut. Er scheint bezeichnend für die innovativen Schaltzentralen des Silicon Valleys in San Francisco, Mountain View und Palo Alto. Myles beginnt mit der Moderation der Tech-Stars des heutigen Abends. „Folks, heute haben wir euch wieder einiges zu bieten. Zehn Jungunternehmen präsentieren sich in jeweils fünf Minuten. Und es geht los mit dem Co-Founder und CEOvon Bamp Technologies. “ Myles hüpft mit einem übertriebenen Satz vom Bühnenplateau und jauchzt. Am Rand der Bühne steht eine Digitaluhr mit roten großen Countdown-Zahlen, die mich an einen überdimensionierten Funkwecker erinnert und den Fünf-Minuten-Countdown anzeigt. Das Scheinwerferlicht fällt auf die leere Bühne. Dann erscheint ein junger Typ mit Bart, Karohemd und einem iPhone in der Hand auf dem Podium. „Okay, Leute! Ich werde euch jetzt zeigen, auf welche Art und Weise ihr nie wieder Visitenkarten austauschen müsst.“ Eine Sekunde später taucht auch der Mitgründer neben ihm auf. Die zwei beginnen ihren Fünf-Minuten-Pitch. Beinahe kommt er einer Theatervorführung gleich: Ein riesengroßer Bleistift, den der Gründer in der Hand hält, soll darstellen, wie schwierig das klassische Notieren von Kontaktinformationen ist, weil er sein Gegenüber entweder falsch versteht, sich verschreibt oder der Stift kaputt ist. Die Lösung wird auch gleich demonstriert: einfach die beiden Handys leicht aneinanderstoßen, so dass die Bluetooth-Schnittstelle aktiviert wird und die Kontaktdaten automatisch übertragen werden. Klatschen! Jubeln! Myles lobt die Technologie des Gründerteams. „Ein bisschen übertrieben diese Show“, flüstere ich Vijay zu. „O no – I like it“, entgegnet Vijay. „Es erinnert mich ein bisschen an die beeindruckenden Bollywood-Shows“, sagt er und prostet mir lachend zu.
Und in dem Augenblick wird mir klar, dass ich gerade erleben darf, was den Unternehmergeist und starken Antrieb der Entrepreneure in San Francisco ausmacht. Wie sie den Show- und Spaßfaktor nutzen, um sich selbst und ihre Überzeugungen zu präsentieren. Obwohl die beiden lediglich ein mobiles Computerprogramm demonstrieren, macht es Spaß, zuzuschauen, und es ist für jeden verständlich. Als wir nach der Veranstaltung in das Dunkel der kalifornischen Nacht treten und auf den Bus warten, wissen wir, dass diesnicht unser letztes Event gewesen ist. Vijay klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. „Na, hat dich der Silicon-Valley-Virus schon erfasst?“ Doch als ich gerade antworten möchte, kommt der Bus. Und während wir durch das abendliche San Francisco ruckeln, unterhalten Vijay und ich uns über die Technologie-Pitches auf dem SF New Tech-Event . Was all die Gründerteams verbindet, ist der Glaube, dass sie es schaffen können: den Durchbruch mit einer Internettechnologie, das große Geld, das Lösen eines Problems. Sie sind von großen Ideen angetrieben, haben risikoreiche Pläne und wollen die Welt verändern – genauso, wie es schon viele mutige Unternehmer, politisch Andersdenkende und furchtlose Goldsucher vor ihnen in und um San Francisco getan haben.
Irgendwie werde ich den Gedanken nicht
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