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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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meinen besten Freundinnenin Deutschland in mehreren Jahren. Wahrscheinlich bleibt einem in der Ferne auch nichts anderes übrig. Möglicherweise ist San Francisco aber auch ein Ort, an dem Menschen Freundschaften unvoreingenommener schließen als in anderen Teilen der Welt, weil viele hier „neu“ sind und ihr Heimatland erst kürzlich verlassen haben.
    „Da vorne ist ein schönes Plätzchen“, ruft Mari Carmen, und wir lassen unseren Blick über die Wiese schweifen, auf der die Menschen in der Sonne liegen. Über den Park bis hin zu den Dächern vom Bankenviertel können wir blicken und sogar ein kleines glitzerndes Stückchen Blau der Bucht erhaschen. Bei schönem Wetter halten sich im Mission Dolores Park Hunderte von Menschen auf. Sie spielen Baseball, werfen ihren Hunden Stöckchen zu oder sitzen glücklich futternd mit ihren Burritos auf der Picknickdecke. Auch heute riecht es nach gebratenem Hühnchenfleisch und gerösteten Zwiebeln. Schließlich ist der lebensfrohe Stadtteil Mission berühmt für seine Burritos, das sind mexikanische, saftig gefüllte Teigrollen mit Hühnchen, Mais, gekochten Bohnen, frischen Avocados, Tomaten und saurer Sahne.
    In der Mission treffe ich immer wieder auf ein Kaleidoskop unterschiedlicher Kulturen: Immigranten aus Nicaragua, Guatemala, Honduras und Mexiko. Und immer ist es hier etwas bunter, lauter, kreativer und chaotischer als in anderen Teilen der Stadt. Wandgemälde und Graffitis, die in der Mittagssonne erstrahlen, werden von mexikanischer Musik aus Bars, Shops und Privathäusern entlang der 24 th Street untermalt. Die Menschen sitzen auf den Stufen ihrer Häuser, lachen und reden. Und hin und wieder pfeifen die jungen Männer einer hübschen Frau hinterher.
    In der Mission kann man oft noch Sonne tanken, wenn es downtown schon kühl und schattig ist. Das liegt daran, dass der Park im sonnigen Mikroklima von San Francisco liegt, wo es durchschnittlich sechs Grad wärmer ist als inder Stadt. Wir lassen uns im Gras nieder, das von der Sonne bereits vorgewärmt ist. Ich strecke alle Viere von mir und blicke in den azurblauen Himmel. Keine einzige Wolke behindert die Sicht; nur unendliche blaue Weite über unseren Köpfen. Ich kremple meine Jeans bis zu den Knien hoch, die im Vergleich zu Mari Carmens sonnengeküssten Beinen zwei weißen Kartoffelstampfern ähneln. „Deine spanische Pigmentierung hätte ich auch gerne.“ Mari Carmen kichert. Ihre schwarzen Locken umspielen ihr Gesicht und sorgen in der Männerwelt regelmäßig für freudige Blicke. Doch Mari Carmen ist meist weniger begeistert. „Die spanische Pigmentierung hilft mir hier auch nicht weiter. Männertechnisch hat San Francisco echt nicht viel zu bieten“, motzt sie, schaut sich aber trotzdem interessiert nach unseren Wiesennachbarn um. „Also, ich finde, dass Nick eigentlich ganz passabel ist“, muss ich zugeben. „Der ist ein Sonderfall. Im Ranking der ‚männlichsten Männer‘ der USA steht San Francisco nämlich auf einem der letzten Plätze – neben Oakland und Los Angeles.“ – „So, so. Nach welchen Kriterien bestimmen die denn Männlichkeit?“ – „Popularität von Hobbys wie Jagen, Fischen und Bowling sowie die Konzentration von BBQ-Restaurants.“ Ich muss laut losprusten. „Ich könnte dir Vijay anbieten. Der ist echt lustig.“ Doch Mari Carmen lehnt ab. „Die ganze Dating-Nummer hier ist sowieso viel zu kompliziert. Und wenn dann auch noch jeder fünfte Typ schwul ist, wird man wirklich verrückt. Was läuft jetzt eigentlich zwischen euch?“, fragt sie und setzt eine beiläufige Miene auf. „Ach, Nick, mein Significant Other “, sage ich unsicher. Unter einem Significant Other verstehen die Amerikaner jemanden, zu dem man eine enge Beziehung hat. Das kann jedoch alles sein – von einer Affäre, einem Date bis hin zu einem festen Freund oder einer festen Freundin. „Ob wir ein Paar sind, weiß ich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich hätte nichts dagegen.“ –„Na ja, zumindest ist Nick ja ein ganz Süßer. Mich verfolgt da eher das Pech. But you guys make a cute couple“, meint Mari Carmen, und ich freue mich darüber, dass sie uns als niedliches Pärchen erachtet. „Du hättest bei den Kissenkämpfen dabei sein sollen. Das war ein super lustiger Abend. Nick hatte einen Freund dabei, der dir gefallen hätte“, entgegne ich geheimnistuerisch. Jedes Jahr am Valentinstag finden die Kopfkissenkämpfe im Bankenviertel auf der Justin Herman Plaza statt.

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