Ein Jahr in San Francisco

befördern: So eröffnet sich mir in Chinatown die Fülle der fernöstlichen Welt, im hispanischen Stadtteil Mission tauche ich in die Reichtümer des lateinamerikanischen Lebens ein, in North Beach trinke ich Espresso mit den Italienern und in Japantown lerne ich beim alljährlichen Kirschblütenfestival die Bräuche des asiatischen Inselstaats kennen. Sicher, einesolche kulturelle Vielfalt ist in vielen Metropolen dieser Welt zu finden. Doch nirgends in dieser Dichte und auf einer knapp 49 Quadratmeilen großen Halbinsel.
    Wenige Tage nach der Neujahrsparade sitze ich im Büro über meinem Computer. Seit dreißig Minuten schon formuliere an einer wichtigen Geschäfts-Mail herum. Und es kostet mich immer noch viel Konzentration, die Korrespondenz auf Englisch zu verfassen. Auch wenn der Umgang insgesamt lockerer ist und es nicht so viele Floskeln wie im Deutschen gibt, ist vieles noch neu für mich. „Hast du Lust, heute Abend mit mir zu einem Tech-Event zu gehen?“, fragt mich mein Kollege Vijay, und er schaut mich mit seinem großen braunen Kulleraugen, die durch seine dichten, buschigen Augenbrauen und seine dunkle Haut noch intensiver wirken, interessiert an. Vijay ist ein begnadeter Software-Programmierer – ein absoluter Computercrack. Obwohl erst 26, wirkt er älter. Womöglich liege das daran, scherzt er immer, dass schon die ersten grauen Haare sichtbar würden. Seit einigen Monaten arbeitet er an der Idee für eine Internetplattform, über die Berufsgruppen wie Ärzte und Krankenschwestern aus aller Welt medizinische Fragen beantworten. Weil ich in meinem Job sehr eng an der Schnittstelle zwischen Medizinern und Patienten arbeite, haben wir schon einige Male Ideen zu seinem „Projekt“ ausgetauscht. Ich kenne nur wenige, die so ehrgeizig, intelligent und trotzdem so verrückt sind wie er. Uns beide begeistert es, wie technologische Innovationen im Gesundheitsbereich eingesetzt werden können, wie die sogenannten „Apps“ Ärzte im Krankenhaus bei ihrer Arbeit unterstützen oder wie neue Computerprogramme Patienten bei Präventivmaßnahmen oder dem Monitoring ihres Gesundheitszustands helfen können. „Tech-Event? Klar, bin dabei“, sage ich, und Vijay klopft sich erfreut auf sein Bäuchlein, das sich unter seinem weitenT-Shirt abzeichnet und wahrscheinlich von nächtlichen Programmier-Sessions mit hohem Coca-Cola- und Pizzakonsum herrührt. „Cool, ich bin gespannt“, freue ich mich auf den bevorstehenden Abend.
    Nach der Arbeit fahren wir beide zusammen zum Event SF New Tech , einem der größten Technologie-Networking-Events von San Francisco. Veranstaltungsort ist der Nachtclub Mighty auf der Utah Street. Das Setting: eine alte Industriehalle, vor deren Tor ein breitschultriger Türsteher wacht. Draußen vor der Halle steht ein großer Truck, aus dem zwei runde Mexikaner Tacos servieren, gefüllt mit saftigem Hühnchen und Rindfleisch. Schließlich sind wir in der Mission , dem mexikanisch geprägten Teil San Franciscos. Wir betreten den Club und finden uns wieder inmitten einer Schar von Entwicklern, Unternehmern und Tech-Fans. Der Raum ist abgedunkelt, lediglich die Bühne ist spärlich beleuchtet. Das rote Scheinwerferlicht fällt direkt auf Myles, den, wie mir Vijay erklärt, Organisator der Veranstaltung. Langsam kehrt Ruhe ein, die Anwesenden um uns herum nehmen auf den klapprigen Plastikstühlen vor der Bühne Platz. Myles, lässig in Jeans und T-Shirt, stellt das Mikro an und stöpselt sein MacBook an den Projektor. Seit 2006 veranstaltet er dieses monatliche Networking-Event. Der SF Examiner , ein lokales Magazin, hat ihn bereits als Anführer einer Spaßfabrik bezeichnet. Networking-Events in der Start-up-Szene gehören zu San Francisco und dem Silicon Valley wie die Golden Gate Bridge zur Bucht. So gibt es zum Beispiel den Mobile Monday , eine monatlich stattfindende Networking-Veranstaltung für mobile Trends, Girls in Tech , ein Netzwerk für weibliche Technologie-Freaks mit regelmäßigen Events, oder die Internetplattform Meetup , über die man neben Technologie-Events auch zu jeglichem anderen Interessengebiet – von spirituellen Sinnsuchern über Language Lovers bis hin zu Kochgruppen – Veranstaltungen findet.Ebenso gefällt mir GABA, die German American Business Association , eine weitere Organisation, die den Austausch zwischen amerikanischen und deutschen Unternehmen fördert und dazu regelmäßig Events organisiert.
    „Willkommen zu San Franciscos größtem und