Ein Jahr in San Francisco
lohnt sich, sondern auch die beeindruckende Küstenroute über den Highway 1 in den Süden ist eine Reise wert. In Big Sur, dem eindrucksvollen Küstenstreifen, hat sich schon der Schriftsteller Henry Miller niedergelassen. Sein Haus kann man heute noch besichtigen. Sie haben nur wenige Stunden? Radeln Sie über die Golden Gate Bridge in die Ortschaften Sausalito oder Tiburon und nehmen Sie die Fähre zurück: Die Skyline von San Francisco hat Suchtpotential! Auch die Gefängnisinsel Alcatraz sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Geldgierige Immobilienhaie haben die Insel bereits als luxuriöses Wohnreservoir in ruhiger Lage umgestalten wollen, doch der sagenumwobene Ort hat viel zu viel Geschichte, als dass man ihn einfach umbauen könnte. Zudem gehört Alcatraz dem Staat, und der hütet das Eiland wie seinen Augapfel. Schon im amerikanischen Bürgerkrieg diente die Insel als Militärkerker. Ab 1933 funktionierte man sie dann in eines der größten Hochsicherheitsgefängnisse der USA um. Zu den wohl bekanntesten Alcatraz-Insassen zählten Bösewichte wie Robert Stroud, der „Birdman von Alcatraz“, Al „Scarface“ Carpone und George „Machine Gun“ Kelly. Gefährliche Killer, brutale Kinderschänder und skrupellose Menschenhändler: Die gefährlichsten Kriminellen saßen dort ihre Haftstrafen ab oder endeten im Todestrakt, der death row . Einen erfolgreichen Fluchtversuch soll es nur ein einziges Mal gegeben haben. Schließlich wurde Alcatraz 1973 in einen Nationalpark verwandelt, den bis heute täglich Tausende von Touristen besuchen.
„You know what it is? San Francisco is a golden handcuff with the key thrown away.“
J OHN S TEINBECK , AMERIKANISCHER A UTOR
April
Home, sweet home
„Was willst du denn eigentlich? Alternative Wohngemeinschaft im Mission- Viertel oder schnieke Nachbarn im noblen Russian Hill ?“ Wenn ich das selbst nur wüsste. Im Schneidersitz sitzt Mari Carmen auf meinem ausklappbaren Bett und schaut mich fragend an. Auf ihrem Schoß liegt mein iPad, auf dem die Website von Craigslist , dem lokalen Online-Anzeigenmarkt mit Wohnungsangeboten und -gesuchen, geöffnet ist. „Was ist denn mit dem hier in Sausalito: Helles One-Bedroom-Apartment mit Hardwoodfloors und Blick auf die Bucht?“ Sie tippt auf den Bildschirm und flippt durch ein paar angehängte Fotos. „Ist denn kein Hausboot verfügbar?“, frage ich scherzend, immerhin ist Sausalito bekannt für seine große Anzahl an Hausbooten, die sich quirlig und bunt an die Uferstraße Bridgeway in Sausalito schmiegen.
Das Kreativgenie Shel Silverstein verbrachte die Sechziger- und Siebzigerjahre auf solch einem Nobel-Floß und schrieb Songs, Gedichte und Drehbücher. „Nein, aber hier habe ich ein sonniges, offenes Apartment; sogar mit Kamin und Garage.“ Nicht schlecht, denke ich mir. „2700 Dollar“, erwähnt sie dann. Ich stutze. Sind die Landlords , also die Hausverwalter, denn verrückt geworden? „Are you kidding me?“, frage ich. „Sorry, aber woher soll ich wissen, dass es nicht in deinem Budget liegt?“, entschuldigt sich Mari Carmenschnell, nachdem sie den angespannten Blick in meinem Gesicht bemerkt hat.
Ob diese ganze Sucherei zu irgendetwas führt? Ich will doch nur ein kleines Zuhause, einen Rückzugsort in der neuen Heimat. Bis jetzt habe ich noch nichts Passendes gefunden, und langsam werde ich unruhig. Gereizt nehme ich Mari Carmen das iPad aus der Hand, um mein Preislimit einzutippen. Völlig egal, ob es ein eigenes Apartment oder eine Wohngemeinschaft wird. „Ich bin bereit, Kompromisse zu schließen“, lasse ich entschlossen verlauten. Gespannt blicken wir auf die Ergebnisliste, die die Suchmaschine kurz darauf ausspuckt. „Haha, Zimmer in einer WG mit zehn Personen – Portrero Avenue und 23 rd Street. Das ist nicht zentrumsnah und wahrscheinlich noch in einer Hippiekommune“, sage ich. „Zehn roommates – das hört sich nach jeder Menge Spaß an“, entgegnet Mari Carmen. „Die Preise sind doch hirnrissig!“ – „Du wirst schon etwas finden – spätestens mit Sophia, denn die kennt sich aus“, beruhigt Mari Carmen mich.
Sophia, eine Amerikanerin, hat unsere Wege vor einigen Wochen im Café Two Sisters Bar & Books im Stadtviertel Hayes Valley gekreuzt. Während Mari Carmen und ich gerade an unserem Café Latte nippten und ich auf meinem Notizblock eine To-Do-Liste vor mich hinkritzelte, telefonierte ein blondes Mädchen am Nebentisch. Immer wieder raufte sie sich ihr schulterlanges Haar
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