Ein Jahr in San Francisco
Männern wahrscheinlich noch schwerer, sich zu binden“, analysiert Rose die Lage und hilft mir damit erst recht nicht weiter. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Mom und Rita völlig geschockt von einer ihrer Erkundungstouren durch SanFrancisco zurückkamen. Rita erzählte damals, dass die Türen des Sexshops Good Vibrations auf der Polk Street weit geöffnet seien und es dort angeblich ein Vibratoren-Museum gebe. Dieses habe es sogar auf die Liste der zehn weltweit seltsamsten Museen geschafft. „Lass mich wissen, wenn ich etwas für dich tun kann“, sagt Rose dann. „Ach, Rose, es ist lieb, aber ich glaube, dass ich schon klarkomme. San Francisco ist einfach zu schön, um die Zeit mit Miesepetrigkeit zu verbringen. Lass uns weiter joggen“, schlage ich vor, versuche ein Grinsen und laufe wieder los.
Während ich mich anstrengen musste, vor Rose die Fassung zu bewahren, platze ich am nächsten Morgen am Telefon mit meiner Mutter sofort mit dem Thema heraus. „Mama, kannst du dich noch an diesen Nick erinnern?“ – „Ach, dieser Amerikaner, der an Ritas Geburtstag nicht mit uns ins Sonoma Valley kommen wollte?“ – „Ja, genau. Es ist aus. Es war nur Dating“, versuche ich ganz gefasst zu klingen, doch meine Stimme zittert. Meine Mutter ist bei solchen Themen meistens sehr pragmatisch. „Dating? Was für ein Quatsch! Schatzi, den vergisst du jetzt mal ganz schnell. Erinnere dich einmal daran, warum du eigentlich nach San Francisco gegangen bist.“ Während ich mit dem Telefon am Ohr am Fenster in unserer WG stehe und auf die Segelboote blicke, die in der Sonne auf dem Wasser dümpeln, versuche ich, mir diese Fragen zu beantworten: Weswegen bin ich denn noch mal hier? Wieso hat das mit Nick nicht geklappt? Was ist, wenn Vijays und meine Pläne nicht aufgehen? Statt meiner Mutter zu antworten, schluchze ich nur und höre meine Eltern am anderen Ende der Leitung in Deutschland flüstern. Dann sagt sie: „Kind, jetzt besinne dich doch darauf, was wirklich wichtig ist. Du wolltest nie nach San Francisco der Männer wegen. Außerdem – und das kann Tante Rita dir bestätigen – gibt es nur wenige sehenswerte Herren in der Stadt.“ Ich muss lachen, auchwenn ich im gleichen Moment schon wieder losheulen könnte. „Na, super, als ob ich mich bezüglich des Männergeschmacks an Rita orientieren würde.“ – „Nein, ernsthaft. Du hast einen Fulltime-Job und arbeitest mit Vijay an diesem Businessplan. Das kostet viel Energie und erfordert Kraft und Konzentration. Jetzt mach das einmal und dann sehen wir weiter.“ Ich höre meinen Vater im Hintergrund: „Ja, genau. Wenn alles nichts hilft, betest du zum heiligen Franziskus. Der kommt doch aus San Francisco.“ Er räuspert sich, und ich kann mir genau vorstellen, wie er in seinem Sessel zu Hause in Deutschland sitzt; die Arme auf die Lehnen gestützt. „Okay, okay, ihr habt ja recht“, antworte ich und fühle mich durch die vertrauten Stimmen meiner Eltern schon wieder ein bisschen getröstet. „Der heilige Franziskus kommt doch aus San Francisco, oder?“, hakt mein Vater nach.
Zur Herkunft des Stadtnamens gibt es verschiedene Theorien. „Manche glauben, dass die Namensgebung San Franciscos von einem Mönch namens Jeremiah Francisco stammt. Dieser ist der Legende nach jeden Tag sehr weit gelaufen, um das Grab eines Paters zu besuchen“, erkläre ich. „Wieso heißt es ‚San‘?“, will mein Vater wissen. „Weil angeblich so ein starker Wind wehte und der Sand der Bucht sich in seiner Kleidung festsetzte, dass man ihn nur noch ‚Sand Francisco‘ nannte. Irgendwann fiel das ‚d‘ von ‚Sand‘ weg, und die Stadt wurde San Francisco getauft. Diese Variante hat allerdings sehr viel Sagencharakter.“ – „So, so, interessant.“ – „Die gängigere Variante ist die, dass San Francisco nach der von den Spaniern erbauten Mission San Francisco de Asis , die dem heiligen Franziskus von Assisi geweiht wurde, benannt worden ist. Heute heißt die Kirche Mission Dolores und ist das älteste Gebäude in ganz San Francisco“, erläutere ich. Bei meinen Eltern in Deutschland klingelt es. „Kind, wir müssen Schluss machen. Wir bekommenBesuch von Tante Rita. Ich melde mich wieder“, sagt meine Mutter. „Es war schön, mal wieder mit euch zu sprechen“, sage ich schnell. „Mach es gut und halt die Ohren steif. Wir drücken dich.“
In den nächsten Wochen verdränge ich erfolgreich jeglichen Gedanken an Nick: dank vieler Arbeit bei
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