Ein Jahr in San Francisco
das überhaupt für eine verdammt unpersönliche und korrekte Mail? Alles, was zählt, ist der Satz, dass er mit mir reden muss. Mein Herz pocht bis zum Hals, ich balle meine linke Hand zu einer Faust zusammen. Ganz tief in mir drin lauert ein dumpfes Gefühl, eine dunkle Vorahnung. Ich meine zu wissen,warum und worüber Nick reden will. Ich starre so lange auf seine E-Mail, bis mir die Augen schmerzen. Trotzdem: Die Fahrprüfung muss gemacht werden. Und das auch noch mit Nicks Auto! So fahre ich am Montagmorgen mit Nicks bockigem Jeep im strömenden Regen erneut zum DMV, schweißgebadet, bevor es überhaupt losgeht. Ich melde mich an und manövriere den Jeep in eine der drei Warteschlangen vor dem DMV-Gebäude. Fahrstunden habe ich keine genommen, eigentlich kann ich ja fahren. Ein Führerschein aus Deutschland gibt mir hier Gewissheit. Überhaupt erscheint mir das Autofahren in Kalifornien als ein Kinderspiel im Vergleich zu unserem Schilderdschungel: So richtig rasen werde ich aufgrund der Geschwindigkeitsbeschränkungen sowieso nicht dürfen, das Überholen anderer Fahrzeuge ist dafür gleich von beiden Seiten erlaubt, und Ampeln gibt es auch nicht so viele wie in Deutschland. Das Vertrauen in die Fahrer ist nämlich so groß, dass an Kreuzungen lediglich vier Stoppschilder in alle Richtungen aufgestellt sind. Die Autos können die Kreuzung nach dem Motto „first come, first serve“ überqueren. Das Wundersame: Es funktioniert einwandfrei. Es mag an der Besonnenheit und der rücksichtsvollen Zuvorkommenheit der Kalifornier liegen oder darin begründet sein, dass die Fahrzeuge in Amerika aufgrund ihrer Größe einfach besser zu erkennen sind – auf jeden Fall ist alles im Fluss!
Keine fünf Minuten später setzt sich eine kleine chinesische Prüferin mit einem schwarzen Pferdeschwanz zu mir ins Auto und stellt sich als Peggy vor. „Hi, ich bin Hanni“, tue ich es ihr gleich, doch sie zeigt sich wenig begeistert. Was sie weitaus mehr interessiert, ist, ob ich weiß, wo sich Hupe und Scheibenwischer, Blinker und Klimaanlage befinden und ob ich die Handzeichen beherrsche. Mit Letzterem sind die Signale für links, rechts und Stopp per Hand gemeint. „Bitte fahre nun los und halte hinter dem schwarzenAuto an. Dann setz bitte zurück, bis ich Stopp sage“, bittet sie mich. Ich fahre los, halte vorbildlich und fahre zurück, bis sie mir befiehlt, anzuhalten. Leider komme ich beim Rückwärtsfahren ein Stücken von der Spur ab und stehe jetzt schräg auf der anderen Fahrbahn. Peggy sagt nichts, und wir fahren weiter. „Nun parke bitte dort hinten am Berg ein.“ Auch dieses Manöver lege ich meiner Meinung nach glanzvoll hin. „Hast du nicht etwas vergessen?“, fragt sie mich scheinheilig, und die Falten auf ihrer Stirn kräuseln sich. Nicht dass ich wüsste. „Am Berg musst du die Reifen zur Bordsteinseite hin einschlagen. Sonst rollt das Auto die Hügel hinunter, falls sich die Bremse mal lösen sollte. Oder willst du etwa ein runaway car haben ?“ Wir fahren ein paar Runden um den Block, und ich soll einmal links und einmal rechts und noch mal links abbiegen. Peggy macht indessen auf ihrem großen Fahrprüferblock jede Menge Kreuzchen und Striche. Schließlich weist sie mich an, wieder auf den Parkplatz des DMVs zurückzufahren und in einer freien Parklücke zum Stehen zu kommen.
Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet – zumindest hat sie zu keinem Zeitpunkt aufgeschrien oder musste intervenieren, was ich als positives Signal deute. „Leider hat es nicht gereicht. Du hast siebzehn Fehlerpunkte – maximal fünfzehn sind erlaubt“, sagt sie völlig neutral und schreibt ein DQ auf meinen Prüfungszettel, was wohl für disqualif ied steht. Nein – das darf doch jetzt nicht wahr sein! „Aber wieso das denn?“, frage ich entgeistert und bin mir keiner Schuld bewusst. „Du hast an den Kreuzungen nicht lange genug angehalten, beim Abbiegen immer zu viel Abstand zum Bordstein gelassen und die Reifen am Berg nicht eingeschlagen.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verlässt sie das Auto. Ich bleibe noch eine Weile sitzen und starre auf das Lenkrad. Das war’s! Ich bin auf den Straßen der dicken Pick-up-Trucks und Schlaglöcher, der dampfenden Gullideckelund wunderschönen Küstenblicke kläglich gescheitert. Wütend schlage ich aufs Lenkrad, so dass die Staubkörnchen auf dem Armaturenbrett aufgewirbelt werden. Verdammt! Sicherlich kommt das alles von der schlechten Aura von Nicks Auto, denke ich
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