Ein Jahr in San Francisco
– die Free Medical Clinic . Da bringen wir sie hin“, schlägt Vijay vor. Wir heben das regungslose Batgirl auf, und Vijay und Alex tragen das Mädchen zur Klinik. Nur wenige Minuten später wird sie dort in ärztliche Obhut genommen, Minuten, die mir vorkommen wie eine halbe Ewigkeit. Mittlerweile ist es Mitternacht, die Geisterstunde hat geschlagen, und in Deutschland ist bereits Allerheiligen.
Streifzug:
Sehen Sie die Stadt mit anderen Augen!
Manchmal helfen einem die goldenen Aussichten in San Francisco, Abstand von den alltäglichen Problemen und Ärgernissen zu gewinnen. So ging es mir zumindest am Fort Mason Green mit Rose. Wenn Sie Distanz brauchen und aus der Ferne auf die Stadt blicken wollen, dann fahren Sie auf die andere Seite der Golden Gate Bridge auf den Hawk Hill, der in den Bergen von Marin County liegt. Von dort oben haben Sie einen faszinierenden Blick auf die Meerenge, das Golden Gate, mit der bekannten Brücke. Auch in der Stadt gibt es genug traumhafte Aussichtspunkte. Neben den bereits erwähnten Twin Peaks bietet auch der Grand View Park in Inner Richmond oder der Ina Coolbrith Park zwischen Nob Hill und Russian Hill beeindruckende Vogelperspektiven auf die Stadt. Mein persönlicher Favorit ist das Wave Organ, ein aus 25 Orgelpfeifen bestehendes Instrument und Kunstwerk am Ende des Yachthafen-Stegs im Stadtteil Marina . Wie U-Boot-Ausguckrohre ragen die Pfeifen aus dem Stein heraus, und wenn Sie das Ohr ganz nah an die Ausgänge der Wellenorgel halten, hören Sie das feine Meeresrauschen und -gurgeln, das mit den Gezeiten in seiner Lautstärke zu- und abnimmt. Wenn man sich einmal um die eigene Achse dreht, kann man die meisten der bekannten San Francisco-Sehenswürdigkeiten einfangen: die Gefängnisinsel Alcatraz sowie die viktorianischen Häuser von Marina vor der Skyline von San Francisco. Ebenso fällt der Blick auf den Palace of Fine Arts, eine griechisch-römische Rotunde gelegen inmitten eines idyllischen kleinen Parks. Daran schmiegt sich ein kleiner mit Monterey-Zypressen bewachsener See.
„I fell in love with the most cordial and sociable city in the Union.“
M ARK T WAIN , AMERIKANISCHER A UTOR
November
Der liberale, grüne Daumen
„Thank you, guys“, bedankt sich der junge Arzt, der kaum älter ist als wir. „Sie ist jetzt wieder bei Bewusstsein. Es war eine starke Alkoholvergiftung und das Ganze hätte auch sehr unglücklich enden können.“ – „Ist noch irgendetwas mit der Versicherung zu klären?“, fragt Rose vorsichtig. „Dies ist ein kostenloses Krankenhaus, doch wir freuen uns immer über Spenden.“ Er reicht die Akte des Mädchens an eine Krankenschwester, die vorbeiläuft. „Gut für das Batgirl“, sagt Vijay leise, denn so eine Notfallbehandlung kann in den USA schnell mehrere tausend Dollar kosten. „San Francisco war eine der ersten Städte, die auch unversicherte Amerikaner mit medizinischen Leistungen versorgte. An einem Ort, an dem dies leider auf circa 82 000 Menschen zutrifft, ist das eine wichtige Institution“, verabschiedet sich der Arzt von uns und lässt uns in dem nach Desinfektionsmittel riechenden Flur zurück. Wir übergeben der Klinik noch eine kleine Spende und verlassen schweigend das Krankenhaus.
„Mir ist nicht mehr nach Feiern zumute“, gibt Vijay zu, als wir in die kühle Nacht treten. Zudem ist es schon recht spät. Wir gehen zurück in Richtung der Kreuzung Haight-Ashbury , wo wir vor der himmelblauen holzverkleideten Eisdiele Ben & Jerry’s mit der Aufschrift „Love, Peace & IceCream“ stehen bleiben und überlegen, was wir nun mitder angebrochenen Nacht noch machen. Der Laden ist geschlossen, lediglich ein paar Hippies kampieren davor: Ein älterer, hagerer Typ mit langen Haaren, der im Schneidersitz gegen die Scheibe des Ladens lehnt, spielt Gitarre. Zwei Frauen mittleren Alters mit Rastazöpfen und ausgewaschenen Tanktops tanzen um ihn herum. „Irgendwie ist es traurig, zu sehen, was aus dem Summer of Love geworden ist“, stellt Rose fest, und ich muss an all die Hippie-Überbleibsel und Straßenkinder denken, die tagtäglich am Eingang zum Golden Gate Park hocken, Joints rauchen und nichts mit sich anzufangen wissen. Keine Perspektive! Kein Job! Keine Sorgen? „Ja, vor allem, weil der Grundgedanke der Hippie-Bewegung gar nicht verkehrt gewesen ist: weg vom Materialismus und vom Kommerz, Liebe statt Krieg. Das Motto war: free food – free drugs – free love. “
Sie gründeten freie Kliniken, etwa auch die
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