Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
sich nach Mikey. Ich warte in der Eingangshalle. Wir sitzen auf blauen Plastikstühlen. Mum krümmt sich ziemlich zusammen.
»Mum, was ist los?«, frage ich.
»Geht schon, Liebes«, sagt sie. »Ich muss unbedingt wissen, wie es Mikey geht.«
Ich finde, sie sieht gar nicht gut aus, aber sie will anscheinend nicht darüber reden.
Craig lässt seine Autos über den Krankenhausboden sausen. Keiner verbietet es ihm.
Dad kommt mit einem Zettel in der Hand vom Empfang. »Station 11«, sagt er. »Wir müssen den orangefarbenen Wegweisern folgen.«
Wir machen uns zu Station 11 auf – doch als wir hinkommen, erfahren wir, dass Mikey auf die Intensivstation verlegt worden ist. Mum gibt wieder so einen erstickten Laut von sich, als wir das hören. »Tom, ich muss mich mal setzen«, sagt sie. Sie sieht echt blass aus.
»Mum, ich glaube, du könntest selbst einen Arzt gebrauchen«, sage ich.
Dad nimmt ihre Hand. »Lyd, was ist los?«
»Es geht schon. Hört bitte alle mit dem Getue auf. Mir ist nur ein bisschen schlecht; ich bin sicher, dass ich es überlebe. Der Sohn meiner besten Freundin hat gerade einen schlimmen Unfall gehabt. Alles andere zählt jetzt nicht, verstanden?«
Dad und ich wechseln einen Blick, und er zuckt die Schultern. »Wenn du wirklich meinst?«
Ich kann nur an das denken, was sie gerade gesagt hat: Hat einen schlimmen Unfall gehabt. Mir dreht sich so der Kopf, dass mir ganz schwindelig wird. Ich habe meine kleine Schwester gesehen, von der Mum immer noch meint, dass sie ein Junge wird. Ich habe Juli und ihre Eltern gesehen, deren Leben wegen all dem, was da vor meinen Augen passiert, ein Scherbenhaufen ist. Aber als ich sie gesehen habe, war das schon vor einem Jahr passiert!
Selbst wenn meine Erinnerung jetzt wieder da ist, wäre es dennoch vor einem Jahr passiert. Daher weiß ich, dass mein Problem nicht Gedächtnisverlust ist. Was mich mit einer Frage zurücklässt:
Wenn ich mein Gedächtnis nicht verloren habe – was um Himmels willen ist dann mit mir geschehen?
Die Gedanken brodeln und brausen mir durch den Kopf und zerstäuben allmählich zu nichts. Ich gehe durch weiße Korridore, und mein Kopf ist so leer wie die weißen Wände.
»Hier ist es. Intensivstation«, liest Dad von einem Schild über zwei blauen Sicherheitstüren ab.
»Dürfen wir da rein?«, frage ich.
Mum sieht sich um. »Ich frage eine Schwester.« Sie geht ins Schwesternzimmer und redet mit einer Schwester, die kurz lächelt und eine blonde Haarsträhne unter eine Haarspange steckt. Sie nickt und deutet auf die Sicherheitstür.
Mum kommt mit der Schwester zu uns zurück. »Wir können ihn kurz sehen, aber er ist nicht wach.« Sie bricht ab, denn ihre Stimme versagt. »Seine Eltern sind gerade zum Telefonieren gegangen, um ihren Angehörigen zu berichten, was passiert ist. Juli ist drin.«
»Ich komme mit.«
»Geht ihr beide«, sagt Dad. »Ich bleibe hier mit Craig.«
Meine Beine versagen fast, als wir auf die Tür zugehen. Dahinter ist Mikey. In einem Krankenhausbett. Juli an seiner Seite. Sie weiß nicht, was mit ihm wird.
Mum nimmt meine Hand. »Bist du in der Lage, für sie da zu sein, Jenny?«
Wie sollte ich dazu in der Lage sein, wenn ein einziger Gedanke mich so zittern lässt, dass ich fast umkippe?
Ich habe es schon gesehen.
Mikey liegt in einem Bett mitten in einem abgedunkelten Raum. Er sieht winzig aus, umgeben von Monitoren und Maschinen mit blinkenden Signallampen. Wellenlinien huschen über das Anzeigenfeld. Juli sitzt über ihn gebeugt neben ihm und hält fest seine Hand. Sie blickt auf, als wir eintreten, und ich eile auf sie zu und nehme sie in die Arme.
»Ach Juli, es tut mir so leid«, sage ich.
In dem Moment piept ein Alarmton neben seinem Bett, und ich wende mich erschrocken nach der Schwester um. Sie tätschelt meinen Arm. »Keine Sorge. Der Piepton ist nur, damit wir seine Werte ablesen können. Alles in Ordnung.«
In Ordnung? Der Bruder meiner besten Freundin liegt in einem Krankenhausbett, in seinem Arm steckt ein Tropf, er hat eine Halskrause um den Hals und Bandagen um den Kopf. In Ordnung?
Tränen quellen mir aus den Augen und rinnen mir über die Wangen. Ich kann das Salz schmecken, das mir in den Mund läuft. Mum steht neben mir, und ich ergreife ihre Hand.
»Wir können mit ihm reden«, sagt Juli. »Er schläft jetzt, deshalb reagiert er nicht. Aber sie haben gesagt, dass er uns wahrscheinlich hören kann. Sie holen ihn gleich für weitere Untersuchungen ab.«
»Manchmal
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