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Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Kessler
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bessere Idee. Der Brief kann noch ein bisschen warten.
    Es hat doch drei Stockwerke gegeben in dem Fahrtstuhl. Bisher habe ich nur zwei besucht.
    Ich habe noch eine weitere Chance, herauszufinden, wie sich die Zukunft entwickelt. Eine weitere Chance, um mich zu überzeugen, dass am Ende alles in Ordnung kommt.
    Ich muss es wissen.

    Ich stoße einen Schrei aus, als ich den Fahrstuhl sehe. Er ist abgesperrt, über Kreuz versiegelt mit gelbem Klebeband, von unten bis oben an die Decke. Ich bin vorhin so eilig herausgestürzt, dass ich mich gar nicht danach umgesehen habe. Wann haben sie das denn gemacht?
    Schnell werfe ich einen Blick über die Schulter. Keiner in der Nähe. Das Herz springt mir fast aus der Brust. Ich muss es herausfinden. Ich muss mich vergewissern, dass irgendwann alles wieder gut wird.
    Aber was, wenn doch nicht? , fragt eine bohrende Stimme in meinem Kopf. Was, wenn mein Leben von Jahr zu Jahr immer schlimmer wird?
    Wie auch immer, ist es nicht besser, Bescheid zu wissen? Wenn ich weiß, was auf mich zukommt, kann ich mich zumindest wappnen.
    Noch ein kurzer Blick in die Runde, dann reiße ich das Band ab, gerade so weit, dass ich den Rufknopf drücken kann.
    Nichts tut sich. Stille. Ich lehne den Kopf an die Tür. Bitte komm, bitte komm. Vor Verzweiflung hämmere ich mit der Faust an die Tür. Was soll ich nur machen?
    Und dann: das Scheppern, aus der Tiefe des Gebäudes, das sich nach oben schraubt und langsam sirrend näher kommt. Ich springe zurück, als das Geräusch lauter wird, dann reiße ich die Tür auf und schiebe das Gitter zur Seite.
    Ein kurzes Zögern, schließlich nicke ich vor mich hin. Auf geht’s. Ich schließe beide Türen und blicke die Knöpfe an, als ob sie Feinde sind.
    Entschlossen drücke ich auf 3 . Der Fahrstuhl braucht eine Ewigkeit, um ein Stockwerk höher anzukommen. Krachend und klappernd rattert er langsam nach oben, dann bleibt er mit einem solchen Ruck stehen, dass meine Zähne aufeinander schlagen. Wie lange wird er meine Fahrten noch aushalten? Er scheint jedes Mal in schlimmerem Zustand zu sein, wenn ich mit ihm fahre.
    Als ich aus der Kabine trete, hört es sich hinter mir an, als ob etwas abstürzt. Es klingt wie ein Donnerschlag oder ein einstürzendes Gebäude bei einer Sprengung. Instinktiv werfe ich mich an die Wand gegenüber und kauere mich zu einem Ball zusammen.
    Als ich dann die Augen wieder öffne, höre ich nichts mehr. Stille. Kein Anzeichen von einer Sprengung, kein gelbes Band oder dergleichen. Was zum Teufel …?
    Das kann doch nicht sein! Der Fahrstuhl – er ist verschwunden!
    Ich gehe an die Stelle, wo er sein sollte. Er ist total verschwunden! Statt der alten Stahltür ist da nur noch eine glatte, weiße Wand.
    Ich taste die Wand ab, hämmere mit der Faust dagegen. Was soll ich machen? Kein Fahrstuhl. Jetzt bin ich auf ewig hier gefangen!
    Wie konnte ich nur so dumm sein? So entschlossen, Dinge herauszufinden, die ich gar nicht wissen muss? Wie konnte ich mir nur einbilden, dass dadurch alles besser würde? Warum habe ich meine Chance vertan, einfach zurückzufahren und weiterzuleben?
    Ich habe drei Jahre meines Lebens verloren und werde sie niemals zurückbekommen.

11

    Ich stolpere aus dem Gebäude und sehe mich um. Mal wieder sieht alles anders aus.
    War der Schuppen dort schon immer da? War er immer weiß gestrichen? Hat das Hotel immer schon den Anbau gehabt? Stand da immer ein Laternenpfahl? Plötzlich stelle ich alles in Frage, alles, was ich sehen kann, und alles, was mir widerfahren ist, seit wir angekommen sind. Ich komme mir vor, als ob ich gerade aus einem Karussell gestiegen bin, das sich zu schnell gedreht hat.
    Ich sehe an der Reihe der Erdgeschosswohnungen entlang. Sie sehen immerhin unverändert aus. Ehe ich es recht merke, stehe ich vor Julis Wohnung und versuche, allen Mut zusammenzuraffen. Ich muss sie sehen. Ob ich jemals wieder die Jahre zurückbekomme, die mir verlorengegangen sind, oder nicht – eines weiß ich: Ich muss mich mit Juli aussöhnen.
    Immer wieder hebe ich die Hand, um anzuklopfen, dann fallen mir hundert Gründe ein, warum es vielleicht keine so gute Idee sein könnte. Will sie mich überhaupt sehen? Haben wir uns in dem vergangenen dritten Jahr wieder vertragen oder uns weiter gestritten?
    Es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden.
    Ich trete näher an die Tür. Gerade will ich klopfen, da wird sie aufgerissen, und Juli steht vor mir. Noch ein Jahr älter, noch anders. Ihr Haar sieht

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