Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
damit wir uns zugrinsen können, weil ich weiß, dass wir das Gleiche denken, wie immer.
Sie sieht mich nicht an. Es schmerzt so sehr, dass ich fast losschreie.
»Ihr Bruder liegt im Koma«, sagt Christine feierlich zu den Jungen. Sie klingt, als ob sie stolz auf sich ist, als ob sie ihnen ein Abzeichen am Revers zeigen würde. »Wir kümmern uns darum, dass sie auf andere Gedanken kommt.«
Juli wird rot, doch sie sagt immer noch nichts.
Der größere der beiden Jungen nickt anerkennend. »Bravo«, sagt er. Dann sieht er Juli das erste Mal an, mit einer Art von mitfühlendem Blick. »Du bist sicher froh, dass du die beiden hast«, sagt er.
»Ja«, sagt Juli ohne Überzeugung.
Die Jungen gehen weiter. »Bis dann, Mädels.«
Den restlichen Weg kichern Christine und Sally mit quietschenden Stimmen. Ich möchte etwas zu Juli sagen, weiß aber nicht, was oder wie ich es anstellen soll. Macht es ihr denn gar nichts aus, dass die beiden so von ihr reden? Als ob sie ein Fall für die Wohlfahrt wäre, und als ob diejenigen, die sich um sie kümmern, dadurch automatisch einen Heiligenschein bekämen? Wo ist ihr Kämpfergeist hin, ihr Leben?
Als wir an unsere Stelle am Fluss kommen, lassen sich Christine und Sally ins Gras fallen, und Juli setzt sich zögernd zu ihnen. Ich bleibe unschlüssig außen vor.
»Also, auf welchen stehst du?«, fragt Christine mit zickigem Kichern.
»Darren!«, kommt Sallys Antwort postwendend.
»Gut! Mir gefällt nämlich Paul besser! Wir könnten doch zu viert ausgehen.«
Sie brechen in albernes Gekicher aus, und ich versuche wieder, Julis Blick aufzufangen, damit ich die Augen in ihre Richtung verdrehen und sie mir eine Grimasse schneiden kann, über die ich lachen muss. Aber auch jetzt sieht sie nicht mal in meine Richtung.
»Was ist mit Juli?«, frage ich. »Wen kriegt sie?«
Die beiden Barbies sehen mich nur an, als sei ich ein Schmutzfleck auf ihren brandneuen Designer-Klamotten, dann wenden sie sich dem nächsten Thema zu. »Was meinst du, wer wird in dieser Staffel der neue Superstar?«, fragt Sally.
»Ich finde diesen Gary toll – er hat so einen süßen Hintern«, antwortet Christine. Dann dreht sie sich zu Juli um. »Findest du nicht auch?«
Juli schluckt, ehe sie antwortet. »Ja, echt süß«, sagt sie lächelnd. Aber es ist kein typisches Juli-Lächeln. Es ist falsch und gezwungen. Doppelt untypisch für Juli.
Ich höre gar nicht, was sie antworten. Ich klinke mich aus und starre in den Fluss. Ich kann nur eines denken: Was macht Juli nur mit diesen Hohlköpfen?
Sally sieht sich um und gähnt. »Ich muss sagen, ich weiß eigentlich gar nicht, was so toll an dem Fleckchen hier sein soll. Stinklangweilig! Kommt, lasst uns doch lieber in den Spielsalon gehen und schauen, ob die Jungs vielleicht dort sind!«
Schon wieder Jungs! Kann sie denn an nichts anderes denken?
»Wir könnten Steine ditschen lassen«, sage ich.
Christine sieht mich mit so entsetztem Gesicht an, dass ich mich einen Augenblick frage, ob ich stattdessen vielleicht gesagt habe: Hey, ich weiß was, lasst uns doch nackt rumrennen und sehen, ob wir einen Außerirdischen finden können.
»Ohne mich, danke«, sagt sie und winkt verächtlich ab.
»Ebenfalls«, sagt Sally.
»Juli?«, frage ich. Sie sieht mich an. »Bitte« , sage ich und halte die Luft an. Stumm bete ich, dass sie diese zwei Horror-Tussis sitzen lässt und mit mir ans Ufer kommt.
Juli sieht die Barbies an, dann mich. Dann steht sie auf. »Okay«, sagt sie aufseufzend. »Warum nicht.« Ich kann mich gerade noch daran hindern, sie zu packen und zu umarmen.
Wir gehen ans Ufer und sammeln ein paar Kiesel auf. Ich werfe einen übers Wasser, der nach einem Aufschlagen absäuft. Juli wirft ihren, der wunderbar über die Wasseroberfläche hüpft und sechsmal aufditscht, ehe er ins Wasser sinkt.
»Immer noch ein Händchen dafür«, sage ich und versuche zu lächeln.
Juli nimmt den nächsten Stein und antwortet nicht.
»Wie kannst du nur?«, frage ich.
»Wie kann ich nur was?«
»Mit denen abhängen?«
Juli zuckt die Schultern. »Sie lenken mich ab«, sagt sie. »Besser, als allein rumzuhängen.«
Ich will ihr sagen, dass sie doch nicht alleine rumhängen muss – sie hat doch mich! Aber nach unserem letzten Gespräch weiß ich es besser, und vermeide es, Dinge zu sagen, die nicht mit ihrer Wirklichkeit übereinstimmen, selbst wenn sie meine Wirklichkeit sind.
Und ich will ihr von den abfälligen Blicken erzählen, die ich zwischen
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