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Ein Jahr voller Wunder

Ein Jahr voller Wunder

Titel: Ein Jahr voller Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Thompson Walker
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erkennbare Küche.
    »Du kannst deine Sachen hier hinstellen«, sagte Michaela. Mein Rucksack und mein Schlafsack bildeten einen ordentlichen Haufen an der Wand.
    In der Küche war jede Oberfläche blitzblank, kaum benutzt, nagelneu. Und in meiner Erinnerung sah Michaelas Mutter auch so aus, als sie dort in einem pfirsichfarbenen Seidenmorgenmantel an der Arbeitsfläche lehnte. Ihr Gesicht war stark geschminkt. Ein silbriges Grau schimmerte auf ihren Lidern und in den Augenwinkeln. Die blonden Haare waren zu einer glänzenden Fläche geglättet.
    »Soll ich euch beiden euer Horoskop erstellen, bevor ich gehe?«, fragte sie.
    Ein Sternzeichendiagramm lag auf der Marmorplatte ausgebreitet.
    »Mach Julias«, sagte Michaela.
    Auf der Arbeitsfläche funkelte eine tiefe Glasschüssel voller Trauben. Ich hatte seit vor Weihnachten keine Trauben mehr gesehen.
    »Die kosten so ungefähr hundert Dollar das Pfund«, sagte Michaela und steckte sich eine in den Mund. »Ist das nicht komisch?«
    Es war das letzte Mal, dass ich je eine Traube aß.
    Aus dem Wohnzimmer nebenan dröhnte eine Reihe kleiner Explosionen. Auf einem weißen Ledersofa saß ein Junge, der etwas älter als wir war, eine Videospielsteuerung in den Händen.
    »Das ist Josh«, flüsterte Michaela. »Er ist Harrys Sohn.«
    Harry war der Freund ihrer Mutter. Das hier war Harrys Haus.
    »Julia, Schätzchen, weißt du dein Sternzeichen?«, fragte Michaelas Mutter.
    Wusste ich nicht.
    »Wann hast du denn Geburtstag?«
    »Am 7. März.«
    »So bald schon«, sagte sie. »Machst du eine Party?«
    »Ich glaube nicht.«
    Es klingelte, und Michaela hüpfte den Flur hinunter.
    »Du solltest aber eine Party machen«, sagte Michaelas Mutter. Dann wandte sie sich dem Horoskop zu. »Wenn du Fisch bist und im selben Jahr geboren wie Michaela …«
    Sie fuhr mit zwei Fingern über das Diagramm, bis die beiden roten Spitzen ihrer Fingernägel sich in einer Ecke trafen.
    »Hmmm.« Sie runzelte die Stirn.
    Ich hörte Michaelas fernes Lachen an der Eingangstür.
    »Ist es schlimm?«, fragte ich.
    »Wichtig ist nicht so sehr dein Horoskop, sondern was du daraus machst«, sagte ihre Mutter. »Und außerdem hat die Verlangsamung die Konstellationen total verändert. Alles ist im Moment ein bisschen wackelig, deshalb können wir uns nicht unbedingt darauf verlassen.«
    Michaela kam näher. Ich hörte die Stimme eines Jungen.
    »Aber sei vorsichtig, okay?«, sagte ihre Mutter. Ihre Augen glänzten, als sie blinzelte. »An deiner Stelle wäre ich einfach eine Zeitlang ein bisschen vorsichtiger als sonst.«
    Michaela kehrte mit einem Jungen in die Küche zurück, den ich aus der Schule kannte. Kai war ein Jahr älter und zur Hälfte Hawaiianer, und er verunsicherte mich, wie er so in der Küche herumstand, ohne zu lächeln, und darauf wartete, unterhalten zu werden. Seine Haut war von einem cremigen hellen Braun, seine Zähne von einem frischen Weiß. Er hatte beide Daumen in die Taschen seiner blauen Surfershorts gehakt und warf einen Blick auf Michaelas Mutter in ihrem Morgenmantel.
    »Ist es schon sieben?«, fragte Michaelas Mutter. »Mist, ich sollte mich mal anziehen.«
    Sie ließ uns drei allein in der Küche. Ein Schweigen tat sich hinter ihr auf. Das einzige Geräusch war das Fließen des Wassers aus den beiden Schwanfiguren im Swimmingpool draußen. Doch schließlich schwoll hinter uns die Musik des Videospiels an.
    »Ist das Street Avenger?«, fragte Kai.
    Das waren die ersten Worte, die er sprach. Er schlenderte ins Wohnzimmer, seine Flipflops schlurften über die Fliesen.
    »Ist der nicht heiß?«, raunte Michaela mir zu, während wir ihm folgten. »Er ist nicht richtig mein Freund, aber irgendwie schon.«
    »Kommt sonst noch jemand?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte sie. »Warum?«
    Josh und Kai spielten drei Runden Street Avenger, und Michaela und ich sahen zu. Ich bemühte mich, lässig zu wirken, schlug ständig die Beine übereinander und wieder zurück. Zu der Zeit hatte ich häufig das Gefühl, beobachtet zu werden, aber ich glaube, diese Empfindung wurde von genau den gegenteiligen Umständen hervorgerufen.
    Michaelas Mutter trug ein Glitzerkleid und hohe Absätze, als sie mit Harry in einem braunen Sakko an ihrer Seite wieder auftauchte. Er war schlank und sportlich, aber er muss zwanzig Jahre älter gewesen sein als sie. Die beiden kannten sich erst seit drei Monaten.
    »Viel Spaß, Kinder«, sagte Michaelas Mutter. »Bei uns wird es spät.«
    Meine Mutter hätte mir

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