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Ein Jahr voller Wunder

Ein Jahr voller Wunder

Titel: Ein Jahr voller Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Thompson Walker
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Landstraße abfahren, die auf der Karte in einer Sackgasse endete, uns aber nach einer Weile auf eine zweite, ungepflasterte und noch nicht verzeichnete Straße führen würde. So würden wir Circadia erreichen.
    »Glaubst du, er ist wirklich dort?«, fragte meine Mutter. Sonnenlicht strömte durch die Windschutzscheibe herein. Sie klappte die Blende herunter.
    »Vielleicht«, sagte mein Vater. Er kniff die Augen gegen die aufgehende Sonne zusammen. Es war neun Uhr abends. »Vielleicht auch nicht.«
    Vom Haus meines Großvaters aus hatten wir die Polizei angerufen, aber er galt nicht als vermisst. Er war alt und exzentrisch, aber nicht senil, er hatte seine Sachen selbst gepackt, bevor er ging.
    Wir fuhren sofort Richtung Wüste und ließen das Abendessen ausfallen. Die Schnellstraße schlängelte sich durch die Hügel, von denen einige nach den jüngsten Bränden schwarz waren. Die Temperatur stieg mit jedem Kilometer. Dort draußen hatte die Pflanzenwelt schon immer Mühe gehabt, zu überleben, und daher sah das Land weniger verwüstet aus als die Küstenregionen. Einige wenige struppige Sträucher hielten sich hartnäckig auf den felsigen Hängen, sie sahen nicht dürrer aus als zuvor.
    »Es ist einfach so schwer, sich vorzustellen, dass dein Vater sich irgendeiner Sache anschließt«, sagte meine Mutter.
    »Er ist in einer Kirche«, sagte ich vom Rücksitz.
    Stromleitungen flogen am Straßenrand vorbei, verliefen wellenförmig von Mast zu Mast.
    »Findest du nicht, dass es schwer vorstellbar ist?«, fragte meine Mutter.
    »Helen«, sagte mein Vater. Er saß steif in seinem Sitz, beide Hände auf dem Lenkrad, die Augen starr geradeaus gerichtet. »Ich weiß es einfach nicht.«
    Am Rande des letzten Vorortes verlor das Radio den Empfang. Der Verkehr ließ nach. Das Gelände wurde flacher. Um uns herum öffnete sich die Wüste, und der blaue Himmel hing tief über dem Boden. Die Sonne schwebte stundenlang am Horizont.
    Der Straßenbelag flimmerte in der Hitze, und ich roch das Leder der Autositze, die in der Sonne bratenden Oberflächen. Meine Mutter drehte die Klimaanlage höher.
    Mit den Stunden, die vergingen, fingen wir alle zu gähnen an. Mein Vater rieb sich das Kinn, auf dem sich seit dem Morgen eine Schicht Stoppeln gebildet hatte.
    Wir fuhren an den Ruinen einer uralten Tankstelle vorbei, an der noch eine rot verrostete Pumpe stand. Daneben ragte ein bescheidenes sonnengebleichtes Gebäude auf, das sich stark zur Seite neigte, ohne Dach. Der Anblick hatte etwas Herzzerreißendes. Jemand hatte diese Mauern erbaut. Jemand hatte einmal gehofft, dieser Ort besäße eine Zukunft. Aber jetzt konnte man durch die Risse in den Wänden direkt in den Himmel auf der anderen Seite blicken.
    Schließlich schlief ich mit dem Kopf am Fenster ein. Ich träumte, dass wir nach Circadia zogen, aber unser Haus mitnahmen – nur die Aussicht und die Nachbarn veränderten sich.
    Irgendwann nach zehn Uhr wachte ich davon auf, dass der Wagen über einen Feldweg holperte.
    »Fahr langsamer«, sagte meine Mutter. Sie klammerte sich an dem Haltegriff an der Decke fest. Wir fuhren genau in die Sonne.
    Durch den Dunst konnte ich in der Ferne den Umriss von Dächern erkennen, ordentliche weiße Hausreihen, umsäumt von einem Meer von Sanddünen, die sich über die Wüste wellten.
    Das ursprüngliche Schild des Bauunternehmers stand noch am Eingang, eine schwere Granitplatte hinter einem trockenen Springbrunnen und einem toten Rasen. In breiter Schreibschrift waren die Worte eingraviert: Rancho Domingo del Sol . Über dem Schild flatterte ein selbstgebasteltes Transparent zwischen zwei Pfosten: Willkommen in Circadia . Und darunter hatte jemand geschrieben: Land of the Free .
    Insgeheim war ich begeistert. Von Gabby hatte ich die Vorstellung übernommen, dass dies hier möglicherweise ein Ort war, an dem das Leben gerechter war.
    Die Straßen trugen Namen wie Desert Rose Lane oder Dune Way. Manche waren gepflastert. Andere nicht. Der Clear Sky Drive verlief gute hundert Meter gepflastert und brach dann stotternd ab, wie um den exakten Zeitpunkt festzuhalten, als dem Bauunternehmer das Geld ausgegangen war.
    »Könnt ihr euch vorstellen, hier draußen zu wohnen?«, fragte meine Mutter.
    Die Häuser befanden sich in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung. Manchen fehlte die Garage. Anderen das Dach. Einige bestanden nur aus Holzgerüsten ohne Gips und Putz, deren Balken in der heißen trockenen Luft bereits verwitterten. Aber man

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