Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1
von Werten. Familie. Sie haben sogar einen Spitzenkandidaten, der ›wiedergeboren‹ wurde, obwohl man doch denken müßte, einmal wäre mehr als genug. Alle halten Ausschau nach Mr. Smith geht nach Washington. Verdammt, wir würden sogar Jimmy Stewart aufstellen, wenn der kein Kumpel von Ronald Reagan wäre.«
Lombardi fuhr langsam einen langen Kiesweg entlang, der von weiten Rasenflächen gesäumt wurde.
»Der Spitzenkandidat«, fuhr Lombardi fort, »schleppt stets und ständig seine kleine Tochter mit. Wir haben mehr Kinder in dieser Kampagne als in einer Folge der ›Kleinen Strolche‹.«
»Vielleicht sollte sich Chase einfach einen Hund kaufen, so einen niedlichen, mit einem schwarzen Ring ums Auge.«
»Ich werd darüber nachdenken. Aber jetzt im Ernst, Neal, wir müssen Allie wiederhaben, bis zum Parteitag.«
»Und sie muß spitze aussehen.«
»Yeah. Und ohne Aufsehen, Neal. Die Presse und die Partei reißen uns sonst in Stücke.«
Er parkte am Rand einer kreisrunden Auffahrt vor dem Haus beziehungsweise vor einem Teil des Hauses. Eine manikürte Rasenfläche führte hinab zum Meer, einem privaten Anlegeplatz und einem Bootshaus. Neal entdeckte einen Zaun, der vermutlich um einen Swimmingpool gezogen war, und einen Tenniscourt.
»Wo ist der Landeplatz für den Helikopter?« fragte er.
»Hinterm Haus.«
Lombardi reichte Neals Tasche einem livrierten Diener, der damit verschwand.
»Hey, Rich, ich hab eine Idee. Vielleicht könnten Sie einfach so tun, als hätte es Allie nie gegeben. Sie aus den Fotos retuschieren, ihre Geburtsurkunde stehlen, alle umbringen, die sie kannten…«
»Prima Idee, Neal. Aber machen Sie den Witz im Haus nicht noch mal, okay?«
Okay.
Senator John Chase gehörte zu der seltenen Sorte von Menschen, die ihren Fotos tatsächlich ähnlich sieht. Er war groß, muskulös und hatte Falten im Gesicht. Sein Adamsapfel und seine breiten Schultern waren auffällig. Er betrat den Raum und marschierte direkt zur Bar. »Ich bin John Chase und trinke Scotch. Was möchten Sie?«
»Ein Scotch wäre prima, danke sehr.«
»Scotch, gerne. Soda oder Wasser?«
»Weder noch.«
»Eis?«
»Mr. Campbell hat mir in der fünften Klasse beigebracht, daß Eis schmilzt und zu Wasser wird.«
»Dann trinkt Mr. Campbell nicht schnell genug. Bitte sehr.«
Nur weil ein Zimmer nicht so aussieht, wie man es erwartet hat, heißt das nicht, daß es einen nicht beeindruckt, dachte Neal. Drei Wände waren verglast, und alle Möbel waren schick und teuer. Von jedem Sessel aus hatte man Meerblick. Neal nahm seinen Drink, setzte sich auf die Sofaecke und nippte.
Der Whiskey war älter als er. Darauf war Chase auch schon aufmerksam geworden.
»Sind Sie so jung wie Sie aussehen, Neal?«
»Jünger.«
Chase drehte einen Stuhl um und setzte sich rittlings darauf, Arme auf die Rückenlehne gestützt. Das Werbefoto eines ernsthaft Regierenden, der gerade ein ernsthaftes Kamin-Gespräch führte. »Ich hatte erwartet, daß sie jemanden schicken, der etwas reifer ist.«
»Vielleicht können Sie mich gegen einen Toaster eintauschen.«
»Wie alt sind Sie, Neal?«
»Senator Chase, wie alt muß ich sein, um sie zu finden? Wie alt mußten Sie werden, um sie zu verlieren?«
Chase grinste so fröhlich wie ein grasfressender Hund. »Rich, rufen Sie bitte Mr. Kitteredge an. Es funktioniert nicht.«
Neal trank seinen Scotch aus und stand auf. »Ja, Rich, rufen Sie bitte Mr. Kitteredge an und sagen Sie ihm, daß der Senator gern Mike Hammer oder so jemanden hätte.«
»Bitte setzt euch. Alle.«
Neal sah die Frau an, die gesprochen hatte. Sie war sehr schön und stand eine Sekunde länger als nötig in der Tür, damit Neal auch keinesfalls entging, wie schön sie war. Sie ist schon oft so in diesem Zimmer aufgetreten, dachte Neal. Sie benutzte den Türrahmen, so wie die Bacall eine Leinwand benutzte. Ihr langes blondes Haar war straff nach hinten gebunden. Braune, grün gesprenkelte Augen lächelten ihn an. Sie war klein, trug eine schwarze Jersey-Bluse und Jeans. Sie war barfuß. Sie ging hinüber zu ihrem Mann, nippte an seinem Drink, verzog das Gesicht, ging weiter zur Bar und goß Grapefruitsaft über gestoßenes Eis. Dann setzte sie sich auf das Neal gegenüberliegende Sofaende und schlug ihre Beine unter.
»Neal Carey ist dreiundzwanzig«, sagte sie in den Raum hinein.
»Woher weißt du das?« fragte Chase.
»Ich habe es herausgefunden.«
»Und du glaubst nicht, daß das zu jung ist?«
»Natürlich glaube ich
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