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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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ich, Dad. Verdammt, das hoffe ich.
     
     
6
     
    Ein paar Wochen und ein paar Jobs, nachdem Neal angefangen hatte, für Graham zu arbeiten, klopfte es an seiner Tür. Neal öffnete, und draußen stand ein böser Geist, beladen mit allem möglichen Krempel, einen nagelneuen Mob und einen Besen unter den Arm geklemmt.
    »Was ist das?« fragte Neal.
    »Mir geht’s gut, danke. Und dir? Ist deine Mutter da?«
    »In letzter Zeit nicht.«
    Graham schob ihn beiseite und kam herein.
    »Du lebst in einem Scheißhaus. Einem Scheißhaus.«
    »Das Mädchen hat ihr freies Jahr.«
    Graham schob mit der Hand irgendwelchen Müll vom Küchentisch und stellte seine Pakete ab. »Wir bringen das jetzt in Ordnung.«
    »Hast du mir dieses Zeug gekauft?«
    »Nein, du hast dir dieses Zeug gekauft. Ich hab’s von dem Geld für deinen letzten Job bezahlt.«
    »Reiß keine schlechten Witze, Mann.«
    »Das hier«, sagte Graham begeistert, »ist ein Mob. Damit macht man den Boden sauber.«
    »Gib mir einfach mein Geld.«
    »Das hier ist ein Besen. Damit macht man auch den Boden sauber«, sagte Graham und sah sich um. »Vielleicht hätte ich besser Dynamit kaufen sollen.«
    An diesem Morgen begriff Neal, daß Graham total bekloppt war, ein psychopathischer Saubermann allererster Güte. In den Tüten waren Schwämme, Trockengestelle, Geschirrtücher, Stahlwolle, Insektenspray, Desinfektionsmittel, Zitrusöl, Fensterreiniger, Papiertücher, Comet-Reiniger (»das ist der beste, laß dich da nicht reinlegen«), Toilettenreiniger und knallgelbe Gummihandschuhe.
    »Ich mag es, wenn alles sauber und in Ordnung ist«, erklärte Graham, »bei der Arbeit und zu Hause.«
    Sie machten sauber. Sie stopften Monate alten Müll in Plastiktüten und trugen ihn runter. Dann fegten sie, wischten sie, wobei Graham Neal nicht nur das korrekte Verhältnis von Reiniger und Wasser beibrachte, sondern auch die richtige Methode, den Mob zu schwingen, »damit du den Dreck nicht nur hin und her schiebst«, schrubbten, wachsten und polierten sie, bis Neal Carey todmüde und völlig fertig war.
    »Was glaubst du, wie lange es so bleibt, wenn meine Mutter wiederkommt?« fragte Neal.
    »Du sorgst dafür, daß es so bleibt. Und noch was – du ißt lauter Scheiße.«
    »Mein Essen ist in Ordnung.«
    »Schokoriegel, Popcorn…«
    »Ich mag Schokoriegel und Popcorn.«
    »Im Flur steht ‘ne Tüte. Hol die rein.«
    »Yes, Sir.«
    Neal kam mit der Tüte zurück und fragte: »Was ist das für Zeug?«
    Graham packte aus. »Eine Pfanne, ein Topf, Topflappen, zwei Teller, zwei Gabeln, zwei Löffel, zwei Messer, ein Dosenöffner…«
    »Ich hab einen Dosenöffner.«
    »Ein Bratenwender, Eier, Brot, Butter, Erdnußbutter, Grapefruitmarmelade, Spaghetti… Und dieses Zeug hier heißt Gemüse, du wirst es mögen…«
    »Quatsch.«
    »Doch. Dafür werde ich sorgen. Nächste Woche bringe ich dir wieder was mit. Jeden Donnerstag werden wir eine Kochstunde machen.«
    »Wer ist denn ›wir‹? Willst du einen Freund mitbringen?«
    »Sonst feuer ich dich. Glaubst du, du bist der einzige minderjährige, minderbemittelte Taschendieb in New York?«
    »Nicht der einzige, aber der Beste.«
    »Dann sei gefälligst stolz auf dich, Junge. Du lebst wie ein Schwein. Deine Mutter kümmert sich nicht um dich, also mußt du dich um dich selber kümmern. Sonst kannst du nicht für mich arbeiten.« 
     
    Er arbeitete. Und lernte. Zuerst die einfachen Sachen, wie man jemanden aus der Ferne beschattete; wie man jemanden im Auge behielt, ohne daß dieser es merkte.
    »Du mußt immer zuerst auf die Schuhe gucken, Neal, die Schuhe«, sagte Graham. »Zwei Gründe. Erstens kannst du die Person daran in einer Menschenmenge immer wiederfinden. Zweitens, wenn sie sich umdreht und dich sieht, guckst du nach unten und nicht direkt in ihre Augen.«
    Sie übten diese Lektion eine Woche lang. Neal folgte Graham auf dem Broadway, in die U-Bahn, in den Bus, durch Straßen voller Menschen, durch menschenleere Gassen. Eines Tages, als er Graham auf der 75. Straße beschattete, konzentrierte Neal sich so sehr auf Grahams Schuhe, daß er ihn von hinten beinahe umrannte.
    »Wie konnte das passieren?« fragte Graham.
    »Ich weiß nicht.«
    »Gute Antwort. Genau. Du weißt es nicht. Der Gang, Neal, du mußt auf den Gang achten. Jeder geht anders – lange Schritte, kurze Schritte, langsam, schnell… Ich habe kürzere Schritte gemacht. Ich bin genauso schnell wie immer gegangen, aber ich habe kürzere Schritte gemacht. Deswegen

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