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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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bist du gegen meinen Rücken gelaufen. Wenn du jemanden beschattest, mußt du seine Schritte an den Gehwegplatten messen. Wie lang sind sie? Braucht er einen Schritt oder anderthalb für jede Fuge? Zähl mit. Schnell oder langsam? Es ist wie Musik, also sing vor dich hin, wenn es sein muß. Laß dir Zeit. Es gibt noch einen Grund. Wenn du gehst wie er, kann er dich nicht so leicht hören. Jemand, der einen Schatten abhängen will, wird sich nicht nur umsehen, sondern auch umhören. Er lauscht auf die Schritte, und wenn er denselben Klang zu lange hört, weiß er, daß jemand hinter ihm her ist. Also stell dir vor, daß er Farbe an den Schuhen hat und du in seine Fußstapfen trittst. Wenn du einen Amateur beschattest, ist es egal, Neal. Spar deine Kraft und bleib einfach dran. Aber wenn es ein Profi ist, der macht das ganz automatisch, geht mal schneller, mal langsamer…« Sie übten einen Monat lang Verfolgung. Nach der ersten Woche wußte Graham, daß Neal der beste Lehrling war, den er je gesehen hatte – schnell, schlau, und durch sein Aussehen beinahe nicht zu bemerken. Graham trainierte mit ihm in der Einkaufsmeile der Fifth Avenue, in der man jedes Schaufenster als Spiegel benutzen konnte, in der U-Bahn, in Cafes, Kinos und Toiletten. Durch Parks und durch Alleen. Zuerst war der Junge leicht zu entdecken und abzuschütteln, aber schon nach kurzer Zeit mußte Graham sich ganz schön anstrengen, um den kleinen Bastard abzuhängen, und dann hatte er Mühe, ihn überhaupt noch zu entdecken.
    »Du mußt den toten Winkel finden«, erklärte Graham dem Jungen, »und so lange du kannst da drinbleiben.«
    »Was ist ein toter Winkel?«
    »Das ist eine Stelle hinter jemandem, wo er dich nicht sieht. Normalerweise ist das hinter ihm, etwas zur Linken, ungefähr fünfzehn Meter hinter ihm. Aber das kommt ganz auf seine Größe an. Deswegen ist es so gut, daß du klein bist, da ist der tote Winkel, in dem du bleiben kannst, größer.«
    »Ja, jetzt weiß ich, was du meinst. Wie wenn du jemandem folgst, und du hast seinen Rhythmus, und du fühlst dich unsichtbar, als könnte er dich nicht sehen.« Sie übten den toten Winkel zu finden. Dafür folgten sie einfach irgendeinem Fremden. Neal machte seine Sache gut, wirklich gut, und Graham bewunderte seine Fähigkeit, in der Menge unter- und urplötzlich wieder aufzutauchen. Ein Schatten machte mehr Krach als Neal Carey.
    »Wenn genug Leute unterwegs sind«, erklärte Graham, »mußt du nicht hinter deinem Mann bleiben, sondern kannst auch neben ihm gehen. Oder du kannst dir eine Frau mit großen Möpsen suchen und neben ihr hergehen. Wenn dein Typ sich umdreht, wirst du ihm gar nicht auffallen, weil seine Augen an den Titten hängenbleiben.« 
     
    Bald konnte Neal sich schwierigeren Dingen zuwenden.
    »Heute«, verkündete Graham eines Tages, »wirst du lernen, mich von vorn zu verfolgen.«
    »Was soll das denn?«
    »Genau deswegen ist es so gut. Niemand sucht vor sich einen Schatten.« Graham zeigte es ihm: Er ging quer über die Straße und dann wieder zurück. Jetzt war er vor einem Typen, den sie sich ausgesucht hatten. Mit Hilfe von Schaufensterscheiben und Rückspiegeln geparkter Autos behielt er den Mann im Auge.
    Neal versuchte es nachzumachen und versagte kläglich. Er hatte sein Ziel nach fünf Minuten verloren.
    »Weil du nicht zugehört hast, Neal. Erinnerst du dich, was ich gesagt habe: Jeder geht anders. Schlappt er vor sich hin? Kannst du seine Sohlen über den Gehweg scharren hören? Eine Frau mit hochhackigen Schuhen klingt wieder anders. Vielleicht trägt dein Opfer auch Turnschuhe.«
    Weiter üben. Bis die »Verfolgung von vorn« reibungslos funktionierte. Dann wandten sie sich der »Eastside-Westside«-Methode zu, bei der das Ziel auf der anderen Straßenseite blieb. Danach kamen die Tricks, für die man zwei Männer brauchte: Ablösungen, Abzweigungen, Vorder- und Hintertüren, Versteckspiele und der trickreiche »falsche Verdacht«, bei dem man sich von der Zielperson abhängen ließ, und der Partner ihr dann unbeschwert folgen konnte.
    Neal liebte den »falschen Verdacht«, liebte ihn so sehr, daß er seine eigene Variante erfand: »Das Falscher-Verdacht-Solo«.
    »Alleine klappt der ›falsche Verdacht‹ nicht«, belehrte Graham Neal, als dieser seine Erfindung vorstellte. »Der Witz daran ist doch gerade, daß man zu zweit ist.«
    »Nicht unbedingt«, entgegnete Neal so selbstzufrieden, daß selbst Graham sich ärgerte.
    »Okay«, sagte Graham.

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