Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
einen besseren Job fand, etwas wie Schauspielerei oder eine Karriere als Model. New York City lag gleich um die Ecke.
Was im Jahre 1950 alles passiert war! Er war damals ein frischgebackener Detective, das Hug wurde errichtet, das Holloman Hospital wurde gebaut, und Sandra Tolley hatte als Kellnerin im Malvolio’s angefangen. Sie hatte ihn auf den ersten Blick aus den Socken gehauen. Groß, Holz vor der Hütte wie Jane Russel, Beine bis in den Himmel, eine goldblonde Mähne und große, kurzsichtige Augen in einem wunderschönen Gesicht. Felsenfest von sich und ihrer zukünftigen Karriere als Model überzeugt, hatte sie ihre Mappe bei sämtlichen Agenturen New Yorks eingereicht, konnte es sich aber nicht leisten, dort auch zu leben. Also war sie in das zwei Stunden entfernte Connecticut gezogen, wo sie eine Wohnung für weniger als dreißig Dollar monatlich bekam und als Kellnerin kostenlos essen konnte.
Doch all ihre Ambitionen schwanden dahin, denn der Anblick von Carmine Delmonico haute sie genauso aus den Socken wie umgekehrt. Nicht, dass er besonders gut aussah oder mit seinen einsachtzig wesentlich größer war als gerade noch annehmbar, aber er hatte dieses gewisse markant kantige Gesicht, wie Frauen es liebten, und einen durchtrainierten, muskulösen Körper. Sie lernten sich am Silvesterabend kennen, einen Monat später heirateten sie, und nach weiteren drei Monaten war Sandra schwanger. Sophia, ihre Tochter, wurde Ende 1950 geboren. Er mietete damals ein schönes Haus in East Holloman, dem italienischen Viertel der Stadt, in der Annahme, Sandra würde sich nicht so allein fühlen, wenn Horden von Verwandten und Freunden sie umgäben und sein Job es erforderte, länger zu arbeiten. Aber sie war ein Mädchen vom Land, aus Montana, und konnte das typische Leben in East Holloman nicht nachvollziehen und mochte es auch nicht. Wenn Carmines Mutter vorbeikam, dachte Sandra gleich, dass Mum sie kontrollieren wollte, und in der logischen Fortführung sah sie in all den nett gemeinten Besuchen und Einladungen seinesFamilienkreises und seiner Freunde den Beweis dafür, dass sie ihr nicht trauten, anständig zu bleiben.
Es gab nie einen ernsthaften Streit oder auch nur größere Unzufriedenheit. Das Baby war das Abbild der Mutter, was alle sehr freute; niemand weiß besser als die Italiener, dass Engel auf Bildern immer helles Haar haben.
Ganz selbstverständlich stand Carmine jedes Mal für Freikarten in der Schlange an, wann immer ein Theaterstück seine Generalprobe für den Broadway im Schumann-Theater hatte. Ende 1951, als Sophia ein Jahr alt wurde, war er mit Freikarten an der Reihe. Die Attraktion war eine bedeutende Aufführung, die bereits schwärmende Kritiken von Proben in Boston und Philadelphia erhalten hatte, also würde jeder in New York hingehen. Sandra war verzückt und grub ihr prächtigstes, trägerloses Kleid heraus, aus zyklamenfarbenem Satin, das saß wie eine zweite Haut und ab dem Knie ausgestellt war. Eine weiße Nerzstola wärmte sie gegen den kalten Winter. Sie bügelte Carmines Abendanzug, gerüschtes Hemd und Kummerbund und kaufte ihm eine Gardenie fürs Knopfloch. Oh, wie aufgeregt sie gewesen war! Wie ein Kind vor einem Besuch im Disneyland.
Ein Fall platzte herein, und er konnte nicht weg. Wenn er daran zurückdachte, war er froh, dass er ihr Gesicht nicht hatte sehen müssen, als sie es erfuhr. Er hatte angerufen. Entschuldige, Liebling, ich muss heute Abend arbeiten. Aber sie ging trotzdem zu der Aufführung, ganz allein, in ihrem zyklamenfarbenen, trägerlosen Satinkleid und der weißen Nerzstola. Als sie es ihm später am Abend erzählte, störte ihn das gar nicht. Aber was sie ihm nicht erzählte, war, dass sie Myron Mendel Mandelbaum, den Filmproduzenten, im Foyer des Schumann kennengelernt hatte und dass Mandelbaum sich Carmines Sitz geschnappt hatte, obwohl sein eigener in einer Loge viel weiter vorne war.
Eine Woche später kam Carmine nach Hause und fand das Haus verlassen vor, keine Sandra und keine Sophie. In einem kurzen Brief auf dem Kaminsims stand, Sandra und Myron hätten sich ineinander verliebt und sie nähme den Zug nach Reno. Myron sei bereits geschieden und wollte sie unbedingt heiraten. Sophia war der Zuckerguss auf der Hochzeitstorte, denn Myron konnte keine Kinder zeugen.
Es traf Carmine, der gar nicht bemerkt hatte, wie unglücklich seine Frau gewesen war, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er tat nichts dergleichen, was verletzte Ehemänner tun sollten.
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