Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
Er versuchte nicht, seine Tochter zu entführen, Myron Mendel Mandelbaum zu verprügeln, griff nicht zur Flasche und versagte auch nicht im Job. Und das trotz heftiger Ermunterung; seine aufgebrachte Familie hätte mit Freuden die ersten beiden Aufgaben für ihn erledigt und konnte nicht begreifen, warum er sie davon abhielt. Ganz einfach deshalb, gestand er sich ein, weil die Ehe von seiner Seite aus auf tiefer physischer Anziehungskraft beruhte, was keine echte Grundlage war. Sandra wünschte sich Glamour, Glitzer und Flirts, ein Leben, das er ihr nicht bieten konnte. Seine Bezahlung war gut, aber nicht königlich, und er liebte seinen Job zu sehr, als dass er Sandra mit Aufmerksamkeit überschütten konnte. In vielerlei Hinsicht, entschied er, ging es Sandra und Sophia in Kalifornien besser. Aber wie weh es getan hatte! Ein Schmerz, über den er mit niemandem sprach, noch nicht einmal mit Patrick (der es ahnte), und den er tiefer vergrub als die Erinnerung.
Jeden August fuhr er nach L.A. und besuchte Sophia, denn er liebte seine Tochter über alles. Aber der diesjährige Besuch hatte ihm die immer stärker werdende Kopie einer Sandra enthüllt, die jeden Tag mit der Limo zu einer schicken Schauspielschule chauffiert wurde, in der Alkohol, Gras, Kokain und LSDleichter zu bekommen waren als Süßigkeiten, und die gelangweilt war von all den Reichtümern. Die arme Sandra war zu einer Kokserin in Hollywoods Partykreisen geworden. Es war Myron, der versuchte, dem Kind ein ordentliches Leben zu geben, obwohl er damit vollkommen überfordert war. Glücklicherweise hatte Sophia einiges von der Neugier ihres Vaters geerbt, war ein heller Kopf und hatte aus dem Verfall ihrer Mutter gelernt. Gemeinsam hatten Carmine und Myron drei Wochen damit verbracht, Sophia davon zu überzeugen, dass sie nicht so enden würde wie ihre Mutter, wenn sie die Finger von Alkohol, Gras, Kokain und LSD ließ und stattdessen an ihrer Ausbildung arbeitete. Über die Jahre war Carmine Sandras zweiter Ehemann immer sympathischer geworden, und dieser letzte Besuch hatte zwischen ihnen eine enge Bindung zementiert, dessen Basis Sophia war.
»Du solltest wieder heiraten, Carmine«, hatte Myron gesagt, »und unser kleines Mädchen an einen Ort bringen, der gesünder ist als das hier. Ich werde sie wie verrückt vermissen, aber ich liebe sie genug, um zu wissen, dass es besser wäre.«
Nie wieder, hatte sich Carmine nach Sandra geschworen und war diesem Schwur bis heute treu. Für sexuellen Trost hatte er Antonia, eine verwitwete entfernte Cousine in Lyme, die sich ihm buchstäblich mit großer Aufrichtigkeit, aber ohne Liebe angeboten hatte.
»Wir können unseren Spaß haben, ohne einander verrückt zu machen«, hatte sie gesagt. »Du brauchst keinen Mumpitz wie Sandra, und ich werde Conway nie durch jemand anderen ersetzen können. Wenn du es also brauchst oder ich, können wir einander anrufen.«
Ein bewundernswertes Arrangement, das inzwischen seit sechs Jahren bestand.
Patrick kam ins Malvolio’s, als Carmine mit seinem Reispuddingfertig war, ein cremiger, saftiger, süßer Brei, der großzügig mit Zimt und Muskat gewürzt war.
»Wie ist es mit Mr Alvarez gelaufen?«, fragte Carmine.
Ein Schaudern und eine verzogene Grimasse. »Schrecklich. Er wusste, warum wir ihn nicht mehr als das Muttermal ansehen lassen konnten, aber er bettelte und weinte so sehr, dass ich meine eigenen Tränen verbergen musste. Sein Priester und die Nonnen waren ein Segen. Sie haben ihn in einer Art Kollaps hinausgetragen.«
»Trink einen Whisky auf mich.«
»Ich hatte gehofft, du würdest das sagen.«
Carmine bestellte zwei doppelte Irische bei der liebäugelnden Kellnerin und sagte nichts weiter, bis Patrick über die Hälfte seines Drinks heruntergeschüttet hatte und wieder Farbe in sein frisches Gesicht zurückkehrte.
»Du weißt genauso gut wie ich, dass unser Job einen Mann abhärtet«, sagte Patrick und drehte sein Glas zwischen den Händen, »aber die meiste Zeit sind die Verbrechen schäbig, und die Opfer, selbst wenn sie einem leid tun, haben nicht die Macht, einen bis in die Träume zu verfolgen. Oh, aber dieses! Eine regelrechte Jagd auf die Unschuldigen. Der Tod von Mercedes wird diese Familie zerreißen.«
»Es ist schlimmer, als du ahnst, Patsy«, sagte Carmine, vergewisserte sich mit kurzen Seitenblicken, ob auch niemand zuhörte, und erzählte ihm von den vier anderen Mädchen.
»Ein
Serienmörder
?«
»Darauf verwette ich mein
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