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Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord

Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord

Titel: Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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ausgesehen – und stellte es dann schnell wieder zurück. Bingo! Volltreffer. Hinter Mom lag ein Bild von Keith Kyneton in voller Länge; er war splitternackt, gebaut wie Mr Universum. Weitere dreißig Sekunden, und Mom stand wieder auf dem Nachttisch. Warum ist denen eigentlich nie klar, dass es einer der ältesten Tricks im Buch der Täuschungen ist, ein Foto hinter dem anderen zu verstecken? Jetzt weiß ich alles über dich, Miss Tamara Vilich. Schon möglich, dass du andere auspeitschst, aber nicht ihn – seine Arbeit würde darunter leiden. Spielt ihr zwei Spielchen zusammen? Verkleidest du ihn als Baby und versohlst ihm dann den Hintern? Spielst du Krankenschwester und verpasst ihm einen Einlauf? Oder eine strenge Schulmeisterin, die Demütigungen austeilt? Eine Nutte, die ihn in einer Kneipe aufgabelt?
    Ohne ein weiteres Ziel zu haben, kehrte Carmine dann nach Hause zurück, stieg jedoch im neunten Stock aus dem Aufzug und drückte auf Desdemonas Klingel. Ihre Stimme antwortete ausdruckslos – kein Beweis ihrer Abneigung, sondern Beweis der modernen Technik.
    »Es gab wieder eine Entführung«, sagte er geradeheraus und schälte sich aus seinem Mantel.
    »Carmine, nein! Es ist doch gerade mal einen Monat her!«
    Er sah sich um, erspähte ihren Nähkorb mit dem Tischläufer, der schneller fertig werden würde als zu den Zeiten, als sie noch wandern ging. »Warum«, wollte er wissen, »sind Sie so ein Pfennigfuchser, Desdemona? Warum geben Sie nicht mal Geld für sich aus? Was soll dieser bedürfnislose Lebensstil? Können Sie sich nicht ab und an mal ein nettes Kleid kaufen?«
    Sie stand völlig reglos da, ihre zusammengekniffenen Lippen ein weißer Strich, in ihren Augen eine Trauer, die er noch nie dort gesehen hatte, noch nicht einmal für Charlie. »Ich bin Junggesellin, ich spare für mein Alter«, sagte sie ruhig. »Aber mehr noch: In fünf Jahren werde ich
nach Hause
zurückkehren – an einen Ort ohne Gewalt, ohne bewaffnete Bullen und ohne Monster. Deshalb.«
    »Tut mir leid, ich hatte kein Recht zu fragen.«
    »Heute nicht und vielleicht nie«, erwiderte sie scharf und öffnete die Tür. »Leben Sie wohl, Lieutenant Delmonico.«

Kapitel fünfzehn
    Dienstag, den 4. Januar 1966
     
    Der erste Arbeitstag des neuen Jahres war windig und verschneit, doch das Wetter hatte jemanden nicht daran gehindert, das Hug mit Graffiti zu beschmieren – MÖRDER, SCHWARZENHASSER, SCHWEINE, FASCHISTEN, Hakenkreuze und, quer über die vordere Fassade, HOLLOMAN KU-KLUX-KLAN.
    Als der Professor eintraf und sah, was man seinem Institut angetan hatte, brach er zusammen. Er bekam keinen Herzinfarkt, Robert Mordent Smiths Krise war eine des Geistes. Ein Krankenwagen transportierte ihn ab, dessen Besatzung sich sehr wohl bewusst war, dass sie bei der Ankunft ein Gebäude weiter in der Notaufnahme nicht nach einem Kardiologen rufen würden, sondern nach einem Psychiater. Der Professor weinte, er stöhnte, er tobte, er brabbelte, die Worte, die er ausstieß: ein komplettes Kauderwelsch.
    Carmine kam herüber, um selbst einen Blick auf das Hug zu werfen, und war genauso dankbar wie John Silvestri, dass der Winter am Ende doch noch ein harter geworden war; der eigentliche rassisch motivierte Aufruhr würde erst im Frühjahr losgehen. Lediglich zwei schwarze Männer hatten den Elementen getrotzt, um Plakate zu schwingen, die vom Wind bereits völlig zerfetzt worden waren. Das Gesicht des einen schien vertraut; Carmine blieb vor dem Eingang stehen und musterte es. Der Mann war klein, dünn, nichtssagend, sehr dunkelhäutig und weder attraktiv noch sexy. Vergrabene Erinnerungen kamen normalerweise unerwartet an die Oberfläche, so auch diese. Wennetwas einmal in Carmines Kopf war, dann blieb es auch dort und tauchte wieder auf, wenn die Ereignisse ihm mit einem Schubs nachhalfen. Der Neffe von Otis Greens Frau. Wesley le Clerc.
    Er schritt zu le Clerc und seinem Begleiter hinüber, einem weiteren Möchtegern, der nicht ganz so wild entschlossen aussah wie Wesley.
    »Geht nach Hause, Jungs«, sagte Carmine freundlich, »andernfalls werden wir euch noch ausgraben oder unterpflügen müssen. Vorher jedoch, Mr le Clerc, noch ein Wort. Kommen Sie herein, raus aus der Kälte. Ich verhafte Sie nicht, ich will nur reden, großes Indianerehrenwort.«
    Überraschenderweise folgte Wesley ihm sanftmütig, während der andere Mann abzischte, als hätte man ihn aus der Schule entlassen.
    »Sie sind Wesley le Clerc, richtig?«, fragte Carmine,

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