Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
Züge! Der schnittige Santa Fé Super Chief fuhr mit einem ziemlichen Tempo zwischen den Bäumen eines Waldes und bewältigte mühelos eine hoch aufragende Hängebrücke. Zwei Dieselloks zogen einen Güterzug, bestehend aus Waggons mit Kohle, die Waggons eines anderen trugenÖl- und Chemikalientanks, und ein dritter bestand zur Gänze aus hölzernen Güterwagen. Ein Nahverkehrspersonenzug stand in einem der Bahnhöfe.
Alles in allem zählte Carmine elf Züge, bis auf den schlichten Nahverkehrszug in seinem Bahnhof allesamt in Bewegung, die Geschwindigkeiten variierend von der flotten Fahrt des Super Chief bis zum Schneckentempo eines Güterzugs, der so viele Öltanks zog, dass an mehreren Stellen seiner beeindruckenden Länge Zweierpaare von Dieselloks zwischengekoppelt waren. Und das alles in Miniatur! Für Carmine war es ein Weltwunder, ein unwiderstehliches Spielzeug.
»So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!«, sagte er mit belegter Stimme.
»Ich baue daran, seit wir vor sechzehn Jahren hierhergezogen sind«, sagte der Professor, dessen Laune sich zusehends besserte. »Es sind ausnahmslos elektrische Zugmaschinen, aber später im Tagesverlauf werde ich auf Dampf umstellen.«
»Dampf? Sie meinen, mit Holz betriebene Lokomotiven? Mit Kohle?«
»Also, eigentlich erzeuge ich den Dampf durch Verbrennung von Alkohol, aber das Prinzip ist das gleiche. Das macht erheblich mehr Spaß, als sie mit normalem Haushaltsstrom fahren zu lassen.«
»Ich gehe jede Wette ein, dass Sie und Ihre Jungs hier unten einen mordsmäßigen Spaß haben.«
Der Professor versteifte sich. Er hatte einen Ausdruck in den Augen, bei dem es Carmine eiskalt über den Rücken lief. »Meine Jungs kommen nicht hierher, die haben hier keinen Zutritt«, sagte er. »Als sie noch kleiner waren und die Türen keine Schlösser hatten, haben sie hier alles kaputtgemacht. Ich habe vier Jahre gebraucht, um den Schaden wieder zu reparieren. Sie haben mir das Herz gebrochen.«
Es lag Carmine auf der Zunge, zu protestieren, dass die Jungs doch jetzt sicherlich alt genug waren, doch er beschloss, sich nicht in Smiths Privatangelegenheiten einzumischen. »Wie kommen Sie eigentlich in die Mitte des Tisches?«, fragte er stattdessen und blinzelte ins Licht. »Mit einem Flaschenzug?«
»Nein, ich klettere drunter. Die Anlage ist aus Abschnitten zusammengesetzt, von denen jeder recht klein ist. Ich habe mir von einem Ingenieur ein System installieren lassen, mit dessen Hilfe ich einen Abschnitt so weit wie erforderlich anheben und zur Seite bewegen kann, um dann im Stehen daran arbeiten zu können. Obwohl es meistenteils um Reinigungsarbeiten geht. Wenn ich von Diesel auf Dampf umstelle, fahre ich den Zug einfach an den Rand, sehen Sie?«
Der Super Chief verließ seine feste Strecke, überquerte mehrere Weichenanlagen, während andere Züge angehalten oder umgeleitet wurden, und hielt dann am Rand der Tischplatte.
»Haben Sie was dagegen, wenn ich mal einen Blick auf Ihre Hydraulik werfe, Professor?«, fragte Carmine.
»Nein, überhaupt nicht. Hier, das werden Sie brauchen, es ist nämlich ziemlich dunkel da unten.« Der Professor reichte ihm eine große Taschenlampe.
Böcke, Zylinder und Stangen gab es da unten jede Menge, aber auch wenn er an jeder Stelle auf der Unterseite des Tischs herumkroch, konnte Carmine doch keine versteckten Falltüren, keine verborgenen Fächer finden. Der Betonboden wurde offensichtlich sehr sauber gehalten, und irgendwie erschien eine Verbindung zwischen Zügen und jungen Mädchen sehr unwahrscheinlich.
Das Kind in ihm wäre begeistert gewesen, den Rest des Tages damit zu verbringen, mit den Zügen des Professors zu spielen, doch als Carmine schließlich zufrieden war, dass der Keller der Smiths nichts außer Zügen und noch mehr Zügen enthielt, verabschiedeteer sich. Eliza führte ihn durchs Haus, als er um Erlaubnis bat, sich alles ansehen zu dürfen. Das Einzige, was ihn kurz beunruhigte, war die Gerte, die auf dem Sideboard im Esszimmer lag und deren Ende unheilverheißend ausgefranst war. Dann schlug der Professor seine Jungs also. Tja, mein Dad hat mich geschlagen, bis ich zu groß für ihn wurde, übellauniger kleiner Fiesling, der er war. Nach ihm waren die Ausbilder bei der U.S. Army das reinste Zuckerlecken.
Von den Smiths fuhr Carmine weiter zu den Ponsonbys, es war kein weiter Weg, doch das Haus war leer und verlassen. Das offen stehende Garagentor gab den Blick frei auf einen scharlachroten
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