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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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gesessen hatte?
    Carol nutzte seine Verwirrung, um über die Schwelle zu treten. Er wich noch einen Schritt zurück und stieß an einen der Stühle, ohne sich auch nur nach dem umzusehen, woran er gestoßen war. Seine Augen waren starr auf ihr Gesicht geheftet, voll Bestürzung und mit tiefen Falten zwischen den Brauen. »Wer
sind
Sie?«, sagte er, und seine Stimme war nur noch ein leises Krächzen im Vergleich zu der lauten Frage, die er ihr gestellt hatte, als er die Tür öffnete.
    Carol behielt ihre verwirrte Miene bei und sagte: »Sie sind doch Tadeusz Radecki? Bin ich hier richtig?«
    »Ich weiß, wer ich bin. Aber ich möchte wissen, wer
Sie
sind.« Radecki hatte einen Teil seiner Fassung zurückgewonnen, und der Tonfall seiner Worte ließ einen Anflug kultivierten Benehmens erkennen.
    »Caroline Jackson«, sagte sie und streckte ihm vorsichtig eine Hand hin.
    Er nahm ihre Hand sehr behutsam in seine, als befürchte er, sie könne bei der Berührung verschwinden. Seine Finger waren kühl und trocken, aber sein Händedruck merkwürdig schlaff, wie der eines Politikers, der viel öfter Hände schütteln muss, als ihm lieb ist. Er verbeugte sich leicht, und seine Vertrautheit mit anerzogenen guten Umgangsformen verschaffte ihm eine Pause, um sich zu erholen. »Tadeusz Radecki, wie Sie richtig vermutet haben.« Er ließ ihre Hand los und trat immer noch leicht stirnrunzelnd weiter von ihr zurück, doch seine strengen Gesichtszüge entspannten sich vorsichtig. »Also, würden Sie mich vielleicht freundlicherweise aufklären, was Sie in meiner Loge machen?«
    »Ich wollte Sie kennen lernen. Es tut mir Leid, dass ich so hereingeplatzt bin, aber ich musste sicher sein, dass ich Sie allein antreffe und wir unter vier Augen reden können. Stört es Sie, wenn ich mich setze?« Carol wollte weiter vorn in der Loge sein, wo sie von den Sitzreihen der Ränge aus gesehen werden konnte. Sie wusste, dass Petra irgendwo da draußen war, wollte aber auch die zusätzliche Sicherheit, dass man sie sah. Wenn sie es gleich am Anfang vermasselte, wollte sie sich nicht auch noch Gewalttätigkeiten aussetzen. Allerdings schien es nicht so, als würde er darauf zurückgreifen.
    Tadeusz zog einen Stuhl für sie heran, setzte sich selbst aber nicht. Stattdessen lehnte er sich mit dem Rücken zum Publikum gegen die Brüstung der Loge. Hinter ihm stieg das Murmeln leiser Unterhaltung vom Parkett herauf. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie genau, als sie auf dem Samtpolster Platz nahm. »Also, Ms. Jackson, wir sind allein. Warum sind Sie hier?«
    »Ich kenne, das heißt, ich kannte Colin Osborne von früher.«
    Radecki hob die Augenbrauen, und sein Mund zuckte, als wolle er sagen: Na und? »Sollte mir das etwas sagen?«, fragte er dann.
    Carol lächelte breit und genoss, welch starke Reaktion dies in Radeckis Augen auslöste. Sie hatte ihn, sie wusste es. Er sah Katerina vor sich, und trotz seiner Anstrengung, eine gelassene Fassade beizubehalten, war er aus dem seelischen Gleichgewicht geraten. Und genau das wollte sie. »Wenn man in Betracht zieht, wie viele gemeinsame Geschäfte Sie gemacht haben, glaube ich, er wäre sehr gekränkt, dass Sie ihn so schnell vergessen haben.«
    »Sie müssen sich irren, Ms. Jackson. Ich erinnere mich nicht, jemals Geschäfte mit einem Mr. … Osborne, sagten Sie? – gemacht zu haben.« Er wollte heiter und nachsichtig klingen, traf aber nicht ganz den rechten Ton. In seiner Haltung war eine gewisse Vorsicht, die vielleicht vielen Beobachtern entgangen wäre. Aber Carol hatte von Tony und anderen gelernt und spürte sein Unbehagen. Jetzt war sie mittendrin und fing an, es zu genießen, denn sie wusste, welche Macht sie hatte, die Situation zu lenken.
    »Hören Sie, ich verstehe, warum Sie vorsichtig sind. Sie wissen ja, wie Colin gestorben ist, und da macht es Sie natürlich nervös, wenn eine fremde Frau hereinspaziert und anfängt, über ihn zu reden. Aber ich weiß, dass Sie zusammen eine Menge Geld gemacht haben, und darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.«
    Er schüttelte den Kopf, das angespannte Lächeln konnte seinem Gesicht keinen gelösten Ausdruck verleihen. »Sie müssen die falsche Person erwischt haben, Ms. Jackson. Mein einziges Geschäftsinteresse ist eine Ladenkette, die Videos verleiht und verkauft. Also, Ihr Mr. Osborne mag ja einer unserer Händler gewesen sein, von denen wir beziehen, aber ich habe Angestellte, die mit diesen Leuten zu tun haben. Sie

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