Ein Kampf um Rom
Cassiodor beugte sich über ihre Schulter.
»Tränen über dem Buch des Trostes? Aber was sehe ich – die ›Ilias‹! Kind! ich gab dir doch die Evangelien.«
»Verzeih mir, Cassiodorius. Es hängt mein Herz noch andern Göttern an als deinem. Du glaubst nicht, je gewaltiger von allen
Seiten her die Schatten ernster Entsagung auf mich eindringen, seit ich bei dir und in diesen Mauern weile, desto krampfhafter
klammert sich das widerstrebende Herz an dieletzten Fäden, die mich mit einer andern Welt verbinden. Und zwischen Grau’n und Liebe ratlos schwankt der Sinn.«
»Valeria, du hast keinen Frieden in diesem Haus des Friedens gefunden. Wohlan, so zieh hinaus. Du bist ja frei und Herrin
deines Willens. Kehre zurück zu jener bunten Welt, wenn du glaubst, dort dein Glück zu finden.«
Sie aber schüttelte das schöne Haupt.
»Es geht nicht mehr. Feindlich ringen in meiner Seele zwei Gewalten. Welche auch siege,– ich verliere immer.«
»Kind, sprich nicht so! du kannst die beiden Mächte, Erdenlust und Himmelsseligkeit, nicht wie zwei gleiche Dinge in einer
Waage wiegen.«
»Weh’ denen«, fuhr sie, wie mit sich selbst sprechend, fort, »welchen das Schicksal den gespaltnen Doppeltrieb in die Seele
gepflanzt, der bald zu den Sternen nach oben, bald nieder zu den Blumen zieht. Sie werden keines der beiden froh.«
»In dir, mein Kind«, sprach Cassiodorius, sich zu ihr setzend, »walten freilich unversöhnt deines weltlichen Vaters und deiner
frommen Mutter Sinn. Dein Vater, ein Römer der alten Art, ein Kind der stolzen, rauhen Welt, kühn, sicher, selbstvertrauend,
nach Gewinn und Macht strebend, wenig, allzuwenig, fürcht’ ich, ergriffen von dem Geist unseres Glaubens, der nur im Jenseits
unsere Heimat sucht,– in der Tat, Valerius, mein Freund, war mehr ein Heide, denn ein Christ. Und daneben deine Mutter, fromm,
sanft, aus einem Märtyrergeschlecht, den Himmel suchend und der Erde vergessen, auch sie hat wohl ein Teil von ihrem Wesen
in dich –«
»Nein«, sprach Valeria, aufstehend und das edle Haupt kräftig zurückwerfend, »ich fühle nur des Vaters Art in mir. Kein Tropfen
Blut neigt jener Seite zu. Die Mutter war viel krank und starb schon früh. Unter meines Vaters Augen wuchs ich auf; Iphigenia
und Antigone und Nausikaa, Cloelia und Lucretia und Virginia waren die Freundinnen meiner Jugend. Nicht viele Priester sah
man in des Kaufherrn Haus, und wenn er abends mit ihr saß und las, so waren’s Livius und Tacitus und Vergilius, nicht das
heil’ge Buch der Christen. So wuchs ich heran bis in mein siebzehntes Jahr, den Sinn allein auf diese Welt gerichtet.Denn auch die Tugenden, die der Vater pries und übte, sie galten nur dem Staat, dem Haus, den Freunden. Glücklich war ich
in jener Zeit, ungespalten meine Seele.«
»Du warst eine Heidin trotz des Taufwassers.«
»Ich war glücklich. Da kamen wir auf einer Reise zuerst in diese Mauern mit ihrem Grabesernst, und dunkle, schwere Schatten
fielen hier zuerst in meine Seele. Dich fand ich hier, und du entdecktest mir, was man mir bisher sorgfältig verborgen hatte,
daß meine Mutter in schwerer Krankheit mich schon vor meiner Geburt durch ein Gelübde dem ehelosen Leben im Kloster geweiht,
wenn Gott sie und ihr Kind am Leben erhalte, und daß mein Vater, dem dieser Gedanke unerträglich, später mich vom Himmel eingelöst,
indem er, freilich mit Zustimmung des Bischofs von Rom, statt die Tochter hinzugeben, Kirche und Kloster hier gebaut.«
»So ist es, Kind, mit dem vierten Teil seines Vermögens! Darüber kannst du dich beruhigen. Der Nachfolger des heiligen Petrus,
der die Macht hat, zu binden und zu lösen, hat den Tausch, die Umwandlung des Gelübdes gebilligt. Du bist frei.«
»Aber ich fühle mich nicht frei! Nicht mehr seit jener Stunde! Was auch du, was auch der Vater gesagt, tief, tief in meinem
Herzen spricht eine Stimme: ›der Himmel nimmt nicht totes Gold statt einer lebendigen Seele. Das Schicksal läßt sich nicht
abkaufen, was einmal ihm verwirkt war.‹ Die finstre, ernste, drohende Macht jenes heiligen Glaubens, der meiner Seele fremd
gewesen und geblieben ist, die in diesem feierlichen Raume wohnt, hat ein Recht, ein zwingend Herrschaftsrecht über meine
Seele und läßt nicht davon. Ich bin ihr verfallen. Ihr gehör’ ich an, nicht wollend, widerstrebend, aber sicher doch. Der
Welt der Entsagung, des Schmerzes, der Dornen: nicht jener goldnen Welt meines Homers,
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