Ein Kampf um Rom
dem König zur offnen Feldschlacht entgegen. Da, vor dem Beginn
des Gefechts, ritt ein Reiter auf weißem Roß aus der Schlachtreihe der Goten, nahm den Helm vom Haupt und rief:
»Kennt ihr mich nicht mehr, ihr Männer der parthenopäischen Stadt? Ich bin Totila. Ihr habt mich geliebt, da ich der Seegraf
eures Hafens war. Ihr sollt mich segnen als euren König. Gedenkt ihr nicht mehr, wie ich eure Weiber und Kinder auf meinen
rettenden Schiffen geflüchtet vor den Hunnen Belisars? Vernehmt: diese eure Frauen und Töchter, sie sind abermals in meiner
Hand: nicht als Schützlinge, als Gefangene.– Nach Cumä habt ihr sie gebracht, in das feste Schloß, sie vor den Byzantinern
zu schützen, vielleicht auch vor mir. Wisset aber: Cumä hat sich mir ergeben: und alle dorthin Geflüchteten sind in meine
Gewalt gefallen. Man riet mir: sie als Geiseln zu behalten, euch und die andern Städte zur Ergebung zu zwingen. Das widerstrebt
mir. Frei ließ ich sie alle – nach Rom hab’ ich die Frauen der römischen Senatoren geleiten lassen. Nur eure Weiber und Kinder,
ihr Männer von Neapolis, hab’ ich in mein Lager kommen lassen: nicht als Geiseln, nicht als Gefangene:– als meine Gäste.–
Sehet hin:– dort strömen sie aus meinen Zelten.– Öffnet die Arme, sie zu empfangen – sie sind frei. Wollt ihr jetzt gegen
mich kämpfen? Ich kann’s nicht glauben! Wer ist der erste unter euch, der zielt auf diese Brust?«
Und weit schlug er den weißen Mantel auseinander.
»Heil König Totila, dem Gütigen!« war die jubelnde Antwort.
Und das heißblütige Völklein warf die Waffen nieder, strömte heran und begrüßte jubelnd die befreiten Frauen und Kinder und
küßte dem jungen König den Saum des Mantels und die Füße. Der Führer der Söldner ritt zu ihm heran.
»Meine Lanzen sind umringt und zu schwach, allein zukämpfen. Hier, o König, nimm mein Schwert: ich bin dein Gefangner.«
»Nicht also, tapfrer Arsakide! Du bist unbesiegt:– deshalb auch ungefangen. Zieh ab, wohin du willst, mit deiner Schar.«
»Ich bin besiegt und gefangen durch deines Herzens Hoheit und deiner Augen lichten Glanz:– verstatte, daß wir fortan für deine
Fahne fechten.«
Eine auserlesne Kriegerschar war so Totila gewonnen, die fortan treu bei ihm aushielt. Unter einem Regen von Blumen hielt
er seinen Einzug durch die Porta Nolana. Noch bevor Aratius, der Admiral der Flotte im Hafen, die Anker seiner Kriegsschiffe
lichten konnte, war deren Bemannung von den zahlreichen Matrosen der vielen neben ihnen liegenden Handelsschiffe der Kaufleute,
alter Bewunderer und dankbarer Schützlinge Totilas, überwältigt und die Führer gefangen. Ohne Blutvergießen hatte sich der
Gotenkönig eine Flotte und die dritte Stadt des Reiches gewonnen. Aber von dem Festmahl, das ihm am Abend die jubelnde Stadt
bereitete, stahl er leise sich hinweg. Mit Staunen erkannten gotische Wachen in der Stille der Nacht ihren König, ohne Gefolge,
in altem, halb eingestürztem Turmgemäuer hart am capuanischen Tor neben einem uralten Olivenbaum verschwinden.–
Am andern Tag erschien ein Dekret Totilas, welches die Frauen und Mädchen der Juden von Neapolis für immer von dem bisher
entrichteten Kopfgeld befreite, und, während ihnen sonst untersagt war, öffentlich Schmuck zu zeigen, verstattete, als Ehrenzeichen
auf dem Brustgewand ein goldnes Herz zu tragen.–
In dem dichtverwachsenen Gärtchen aber, in welchem verwilderter Efeu und Rosen das hohe Steinkreuz und einen tiefeingesunkenen
Grabstein völlig überwachsen hatten, erhob sich in Bälde ein Gedenkstein von edelstem schwarzen Marmor mit der einfachen Aufschrift:
»Miriam Valeria.« – Und niemand lebte in Neapolis, der das zu deuten wußte.
Sechstes Kapitel
Von allen Seiten strömten nun aus Campanien und Samnium, Bruttien und Lucanien, Apulien und Calabrien Abgesandte der Städte
nach Neapolis, den Gotenkönig als Befreier in ihre Mauern zu laden. Auch das wichtige und starke Benevent ergab sich und die
benachbarten Vesten Asculum, Canusia und Acheruntia. Nach Tausenden zählten die Fälle, in welchen in diesen Landschaften die
Colonen in die Ländereien ihrer gefallnen, entflohnen, nach Byzanz oder Rom gewanderten Herren eingewiesen wurden. Außer Rom
und Ravenna waren von großen Plätzen jetzt nur noch Florentia unter Justinus, Spoletium unter Bonus und Herodianus, Perusia
unter dem Hunnen Uldugant in den Händen der Byzantiner.
In wenigen
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