Ein Kampf um Rom
in Erinnerungen verloren und ohne sie anzusehen, »weißt du noch, wie
wir hier als Kinder spielten? Träumten? Wir sagten: die goldne Straße, von Sonnenstrahlen auf die Flut gezeichnet, führe zu
den Inseln der Seligen.«
»Zu den Inseln der Seligen!« wiederholte Camilla. Im stillen bewunderte sie, mit welcher Zartheit und edlen Leichtigkeit er,
jeden Gedanken an ihre letzte Begegnung fernhaltend, mit ihr in einer Weise verkehrte, welche sie völlig entwaffnete.
»Und schau, wie dort die Statuen glänzen: das wundersame Paar, Aeneas und – Amala! Höre, Camilla, ich habe dir abzubitten.«
Lebhaft schlug ihr Herz. Jetzt wollte er der Ausschmückung der Villa, der Quelle gedenken. Das Blut stieg ihr in die Wangen.
Sie schwieg in peinlicher Erwartung. Aber ruhig fuhr der Jüngling fort:
»Du weißt, wie oft wir, du die Römerin, ich der Gote, an diesem Ort in Wettreden den Ruhm und den Glanz und die Art unserer
Völker priesen. Dann standest du unter dem Aeneas und sprachst mir von Brutus und Camillus, von Marcellus und den Scipionen.
Ich aber, an meines Ahnherrn Amala Schild gelehnt, rühmte Ermanarich und Alarich und Theoderich. Aber du sprachst besser als
ich. Und oft, wenn der Schimmer deiner Helden mich zu überstrahlen drohte, lachte ich deiner Toten und rief: ›Das Heute und
die lebendige Zukunft ist meines Volkes!‹«
»Nun, und jetzt?«
»Ich spreche nicht mehr so. Du hast gesiegt, Camilla!«
Aber indem er so sprach, schien er so stolz wie nie zuvor.Und dieser überlegne Ausdruck empörte die Römerin. Sie war ohnehin gereizt durch die unnahbare Ruhe, mit welcher der Fürst,
auf dessen Leidenschaft man solche Pläne gebaut, ihr gegenüberstand. Sie begriff diese Ruhe nicht. Sie hatte ihn gehaßt, weil
er es gewagt, ihr seine Liebe zu zeigen. Und jetzt lebte dieser Haß auf, weil er es vermochte, diese Liebe zu verbergen. Mit
der Absicht, ihm weh zu tun, sagte sie langsam:
»So räumst du ein, König der Goten, daß deine Barbaren den Völkern der Menschlichkeit nachstehen?«
»Ja, Camilla«, antwortete er ruhig, »aber nur in einem: im Glück! Im Glück des Geschickes wie im Glück der Natur. Sieh dort
die Gruppe von Fischern, die ihre Netze aufhängen an den Olivenbäumen am Strande. Wie schön sind diese Gestalten! In Bewegung
und Ruhe, trotz ihrer Lumpen: lauter Statuen! Hier das Mädchen mit der Amphora auf dem Haupt! dort der Alte, der, den Kopf
auf den linken Arm gestützt, im Sande liegt und hinausträumt ins Meer. Jeder Bettler unter ihnen sieht aus wie ein entthronter
König. Wie sie schön sind! Und in sich eins und glücklich! Ein Schimmer ungebrochenen Glücks liegt über ihnen. Wie über Kindern!
Oder edeln Tieren! Das fehlt uns Barbaren!«
»Fehlt euch nur das?«
»Nein, uns fehlt auch Glück im Schicksal. Mein armes, herrliches Volk! Wir sind hier hereinverschlagen in eine fremde Welt,
in der wir nicht gedeihen. Wir gleichen der Blume der hohen Alpen, dem Edelweiß, die vom Sturmwind vertragen ward in den heißen
Sand der Niederung. Wir können nicht wurzeln hier. Wir welken und sterben.« –
Und mit edler Wehmut blickte er hinaus in die blaue Flut. Aber Camilla hatte nicht die Stimmung, diesen prophetischen Worten
eines Königs über sein Volk nachzusinnen.
»Warum seid ihr gekommen?« fragte sie mit Härte. »Warum seid ihr über die Berge gedrungen, welche ein Gott als ewige Marken
gesetzt zwischen euch und uns. Sprich, warum?«
»Weißt du«, sprach Athalarich, ohne sie anzublicken, wie mit sich selber und für sich selber fortdenkend, »weißt du, warum
die dunkle Motte nach der hellen Flamme fliegt? Wieder, immerwieder! Von keinem Schmerz gewarnt! bis sie verzehrt ist von der schönen, lockenden Feindin? Aus welchem Grund? Aus einem
süßen Wahnsinn! Und solch ein süßer Wahnsinn ist es, ganz derselbe, der meine Goten aus den Tannen und Eichen hinweggezogen
hat zu Lorbeer und Olive. Sie werden sich die Flügel verbrennen, die törichten Helden. Und werden doch nicht davon lassen.
Wer will sie drum schelten? Sieh um dich her. Wie tiefblau der Himmel! wie tiefblau das Meer! und darin spiegeln die Wipfel
der Pinien und die Säulentempel voll Marmorglanz! und fern da drüben ragen blaue Berge und draußen in der Flut schwimmen grüne
Inseln, wo sich die Rebe um die Ulme schlingt. Und drüber hin die weiche, die warme, die kosende Luft, die alles erhellt.
Welche Wunder der Formen, der Farben trinkt das Auge und atmen die
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