Ein Kapitän von 15 Jahren
verrieth ihm, daß diese Gelegenheit nicht mehr fern sein könne.
Was konnte aber Harris’ heimlicher Endzweck sein? Welches Schicksal stand den Ueberlebenden vom »Pilgrim« wohl bevor? Dick Sand sagte sich wiederholt, daß seine persönliche Verantwortlichkeit mit dem Schiffbruche noch nicht zu Ende sei.
Es lagen dort auf der Erde abgeschnittene Hände. (S. 219.)
Ihm lag es jetzt fast mehr als je ob, für das Heil Derjenigen zu sorgen, welche das Unglück auf diese Küste geworfen hatte: diese Frau, das junge Kind, jene Neger, alle seine Schicksalsgefährten erwarteten ihre Rettung allein von ihm. Wenn er aber auch im Stande gewesen war, auf dem Schiffe so Manches für sie zu leisten, so lange er als Seemann auftrat, was sollte er hier gegenüber den ihnen noch drohenden Gefahren beginnen?
Dick Sand, das Jagdmesser in der Hand…. (S. 221.)
Dick Sand wollte vor der entsetzlichen Wirklichkeit, welche jeden Augenblick an sie herantreten konnte, die Augen nicht verschließen. War er auf dem »Pilgrim« der Kapitän von fünfzehn Jahren gewesen, in der jetzigen Noth ward er es wieder! Er wollte jedoch nichts sagen, was die arme Mutter ängstigen konnte, bevor für ihn der Augenblick zum Handeln gekommen wäre.
Und er sagte nichts, selbst als er am Ufer eines ziemlich breiten Flusses, der etwa hundert Schritte vor den Wanderern lag, eine Anzahl ungeheuerer Thiere unter dem Gesträuch des Flußrandes verschwinden sah.
»Flußpferde! Flußpferde!« wollte er ausrufen.
In der That, es waren solche Pachydermen mit enormem Kopfe und dicker Schnauze, deren Mundöffnung mit über fußlangen Zähnen bewaffnet ist, mit den kurzen kräftigen Beinen und der haarlosen, rothbraunen Haut! Flußpferde in Amerika!
Mit großer Mühe wanderte man auch diesen Tag weiter. Die Anstrengung lähmte allmälig auch die Kräftigsten. Es war wirklich hohe Zeit, an’s Ziel zu gelangen, oder man mußte sich zu einem längeren Aufenthalt entschließen.
Die einzig mit ihrem Jack beschäftigte Mrs. Weldon fühlte zwar die Ermüdung nicht, doch ihre Kräfte waren vollständig erschöpft. Mehr oder weniger abgemattet waren Alle. Dick Sand hielt eine wahrhaft übernatürliche Energie, eine Folge seines strengen Pflichtgefühls, noch aufrecht.
Gegen vier Uhr Nachmittags fand der alte Tom im Grase einen Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Waffe, eine Art Messer von besonderer Gestalt, mit breiter, gebogener Klinge, welche in einem grob verzierten Handgriffe von Elfenbein befestigt war.
Tom brachte Dick Sand dieses Messer. Letzterer prüfte es und zeigte es zuletzt dem Amerikaner, indem er sagte:
»Ohne Zweifel sind nun Eingeborne in der Nähe.
– Ja, wahrhaftig, antwortete Harris, und doch…
– Doch? wiederholte Dick Sand und sah Harris scharf in’s Gesicht.
– Wir müßten jetzt eigentlich bei der Hacienda sein, fuhr Harris zögernd fort, und doch erkenne ich nicht…
– Sie haben sich also doch verirrt? fragte Dick Sand schnell.
– Verirrt, nein… Die Hacienda kann jetzt keine drei Meilen weit von uns sein. Ich dachte aber, durch den Wald den nächsten Weg einzuschlagen, und daran that ich vielleicht unrecht.
– Vielleicht, antwortete Dick Sand.
– Es wird am Besten sein, ich gehe allein voraus, sagte Harris.
– Nein, Herr Harris, erwiderte Dick Sand in entschiedenem Tone wir trennen uns jetzt nicht!
– Ganz wie Sie wünschen, lenkte der Amerikaner ein. Während der Nacht würde ich Sie jedoch schwerlich weiter führen können.
– Das thut nichts, antwortete Dick Sand, so machen wir noch einmal Halt. Mistreß Weldon wird nichts dagegen haben, noch eine Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, und morgen am hellen Tage setzen wir unseren Weg fort. Noch zwei oder drei Meilen, das wird in etwa einer Stunde abgemacht sein.
– Meinetwegen!« erwiderte Harris.
Da ließ Dingo ein wüthendes Bellen hören.
»Hierher, Dingo, hier! rief Dick Sand, Du weißt, daß hier Niemand ist und wir in der Einöde wandern!«
Man entschloß sich also zu diesem letzten Halt. Mrs. Weldon ließ ihre Gefährten schalten, ohne ein Wort dazu zu sagen.
Der vom Fieber ergriffene kleine Jack ruhte in ihren Armen.
Man suchte die geeigneteste Stelle zu einem Nachtlager.
Unter einer großen Baumgruppe gedachte Dick Sand die nöthigen Vorbereitungen zum Ausruhen zu treffen. Da hielt der alte Tom, der ihm bei seiner Arbeit half, ihn plötzlich an und rief:
»Herr Dick! Sehen Sie da!
– Was giebt’s, mein
Weitere Kostenlose Bücher