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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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wahr. In meinem Universum existierte nur noch dieses Mädchen. Dieses Mädchen, das man offensichtlich aus meiner DNA geklont hatte. Es war offensichtlich – und doch ganz und gar unmöglich.
    Racey blickte zwischen uns hin und her und schnappte buchstäblich nach Luft. »H eilige Muttergottes«, hauchte sie.
    Mein anderes Ich sah aus, als hätte sie jemand mit einem Lähmungszauber belegt. Sie stand da wie festgefroren, die Augen weit aufgerissen, die Muskeln starr. Wenigstens einen Unterschied konnte ich zwischen uns bemerken: »D ein Gesicht ist ja ganz grün«, sagte ich, als ihre Augenlider auch schon zu flattern begannen und sie das Bewusstsein verlor.
    Racey und ich fingen sie auf. Ms DiLiberti kam hinter der Theke hervorgeeilt und führte uns ins Sekretariat des Schulleiters. Irgendjemand besorgte ein nasses Papiertuch. Ich fächelte der Neuen mit ihrem Studienhandbuch Luft zu.
    Beinahe unmittelbar darauf öffnete sie die Augen und richtete sich auf, obwohl sie immer noch etwas grün um die Nase aussah.
    Ich hatte meine Augen nicht von ihr abwenden können. So also würde ich mit einem Stufenschnitt aussehen, dachte ich benommen, und es war kein gutes Gefühl. Mein Herz klopfte hart in meiner Brust und Tausende Gedanken drängelten sich gleichzeitig in meinen Kopf. Doch ich wollte sie nicht hineinlassen.
    »W er bist du?«, fragte ich sie. »W oher kommst du? Und warum bist du hier?«
    Sie trank ein wenig von dem Wasser, das Ms DiLiberti ihr gebracht hatte, und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »I ch heiße Thais Allard«, sagte sie und klang fast genau wie ich, nur ein bisschen mehr wie ein Yankee. »I ch komme aus Connecticut. Mein Dad ist diesen Sommer gestorben und mein neuer Vormund lebt in New Orleans, also bin ich hierhergezogen.«
    Ihr Dad war gestorben. Wer war das? Ich hätte es am liebsten herausgeschrien. War er auch mein Dad gewesen? Oder waren wir bei der Geburt getrennt und war Thais von zwei Fremden adoptiert worden? Oder vielleicht umgekehrt? War Nan wirklich meine Nan? Ja, das musste sie sein. Aber sie hatte nie erwähnt, dass ich eine Schwester hatte. Und dieses Mädchen musste meine Schwester sein, selbst wenn sie vom Planeten Xoron kam. Wir sahen zu abartig gleich aus, bis in unsere spiegelverkehrten Muttermale. Das Muttermal, das ich abwechselnd geliebt und gehasst hatte, das André erst gestern noch mit dem Finger nachgefahren und mit seinen Lippen geküsst hatte. Dieses Muttermal – auf ihrem Gesicht.
    »W er war dein Dad?«, wollte ich wissen. »U nd wer ist dein neuer Vormund?«
    Thais schwankte und sah aus, als würde sie gleich Sturzbäche heulen. Draußen vor dem Büro hörten wir Schüler kommen und gehen.
    »I ch komme zu spät zur ersten Stunde«, sagte sie schwach, und ich dachte bei mir: Sacrée mère, ist die ein Weichei.
    »D eine Lehrer werden das verstehen«, sagte Ms DiLiberti bestimmt.
    »M ein Dad hieß Michel Allard«, sagte das Mädchen. Den Namen hatte ich noch nie gehört. »M ein Vormund ist irgendeine seltsame Freundin von ihm.« Sie runzelte die Stirn.
    Das war alles zu viel. Ich spürte, wie auch mir die Knie nachgaben, aber anders als dieser Jammerlappen hier ließ ich mich anmutig auf einen Stuhl sinken.
    Das Mädchen– Thais– schien wieder zum Leben zu erwachen. »H ast du Eltern?« Ich sah den plötzlichen Eifer auf ihrem Gesicht, und erst da begriff ich, dass Nan auch ihre Großmutter sein musste. Ich würde meine Nan teilen müssen.
    Ich war ein erfolgreiches Einzelkind. Ich meine, ich war sehr erfolgreich darin, ein Einzelkind zu sein. Ich biss mir auf die Lippe und sagte: »I ch lebe bei meiner Großmutter. Meine Eltern sind tot.« Unsere Eltern waren tot. »W ann hast du Geburtstag?«, fragte ich brüsk.
    »A m dreiundzwanzigsten November.« Ihre Augen blickten mich forschend an und sie schien langsam wieder zu Kräften zu kommen. Déesse, war sie überhaupt eine Hexe? Na ja, natürlich, musste sie ja. Aber war sie auch so aufgewachsen? Wie sonst?
    Ich runzelte die Stirn. »M einer ist am zweiundzwanzigsten November.« Ich merkte, dass Racey mich anstarrte. Was zur Hölle ist hier los?, schien ihr Blick zu sagen. Eine sehr gute Frage. Eine, die ich Nan so bald wie möglich stellen wollte. Ich dachte daran, dass sie wahrscheinlich nicht zu Hause war. Sie arbeitete als Hebamme, als selbstständige und eigenverantwortliche Pflegefachperson in einer örtlichen Klinik. Es gab keine regelmäßigen Arbeitszeiten, aber als ich heute Morgen aus dem

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