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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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eine eigene Sprache benutzt. Eine Mischung aus Altfranzösisch, Latein und einem afrikanischen Dialekt, der in den dunklen Zeiten der Sklaverei hierhergebracht worden war.
    Sie ging nach draußen und ich fühlte, wie sie das Haus und unseren Garten umkreiste. Dann kam sie auf die Veranda und stellte sich vor die Haustür. Zurück in der Wohnung ging sie durch jedes einzelne Zimmer, strich mit einem Kristall über die Fenster und sang sanft in einer Sprache, die seit Hunderten von Jahren in unserer Familie weitergegeben wurde.
    Hin und wieder fing ich ein Wort auf, doch auch so hatte ich längst begriffen, was sie da tat.
    Schicht um Schicht webte sie Zaubersprüche um unser Haus, unseren Garten, um uns, unser Leben. Sprüche, die uns beschützen und das Böse fernhalten sollten.

Kapitel 17
    Das Leben im Golden Blossom
    Sonnenlicht ist eine qualvolle Angelegenheit, dachte Claire und versuchte, sich das Bettlaken über die Augen zu ziehen. Doch der Morgen brannte sich wie dünne Nadelstiche in ihre Netzhaut ein, und sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, die Sache länger hinauszuzögern.
    Sie musste aufstehen.
    Vorsichtig zog sie ein Augenlid nach oben. Dem verschwommenen Ausblick aus ihrem hölzernen, kaputten Fliegenschutzgitter nach zu urteilen, war es wahrscheinlich gerade mal zwei Uhr nachmittags. Nicht zu schlimm.
    Das Bett war durchgelegen, sodass sie immer wieder zur Mitte hin rollte . Während sie sich aufmerksam umblickte, sah sie eine menschliche Gestalt neben sich schlafen, deren glattes, schwarzes Haar sich über dem Kopfkissen verteilte. Niemand, den sie kannte. Na ja, so was passierte eben.
    Sie seufzte. Ein Bad würde sie beleben und niemand bereitete Bäder besser vor als das Golden Blossom -Hotel.
    »B itte, Ma’am?«
    Claire zwang sich, den Kopf zu drehen und den Blick nach links zu richten. Ein kleines, thailändisches Zimmermädchen, nicht älter als fünfzehn, kniete auf dem schwarzen, hölzernen Fußboden. Sie hielt ein silbernes Tablett in die Höhe, auf dem sich sorgfältig gefaltete Telefonnotizen stapelten. Ihr Kopf war gesenkt– sie belästigte Ma’am nur ungern. Besonders diese Ma’am, die so oft Dinge durch die Gegend schleuderte und kaputt machte, wenn man sie störte.
    »B itte, Ma’am? Nachrichten für Sie. Mann mehrere Male angerufen. Er sagt, sehr dringend.«
    Sie hielt das kleine Tablett wie eine Opfergabe über ihren Kopf.
    Mit äußerster Anstrengung hievte Claire ihre Füße seitlich aus dem Bett. Sie warf einen schnellen Blick in den Spiegel. Autsch. Als sie ihre Hand nach den Zetteln ausstreckte, überkam sie eine Welle der Übelkeit, die sie in der Bewegung innehalten ließ. Sie murmelte etwas vor sich hin und wartete, bis das Gefühl nachließ. Das kleine Zimmermädchen, das in seiner altmodischen pinken Tracht ganz besonders zierlich wirkte, senkte den Kopf noch weiter, wie um einem Schlag auszuweichen.
    Claire nahm die Nachrichten entgegen und brummte »d anke« auf Thai.
    Das kleine Hausmädchen verneigte sich tief, erhob sich und begann, sich rückwärtstippelnd aus dem Raum zu entfernen.
    »M ach mir ein Bad!«, rief Claire ihr noch hinterher. Sie zuckte zusammen, als die Worte in ihrem schmerzenden Schädel nachhallten. Es fühlte sich an, als wäre jedes einzelne Blutgefäß in ihrem Gehirn undicht. »B itte mach mir ein Bad«, flüsterte sie und wiederholte das Wort »B ad« auf Thai. Das Hausmädchen stürzte ins Badezimmer.
    Claire warf einen Blick auf die erste Nachricht. Von Daedalus. Sie warf sie auf den Boden und schaute sich den zweiten Zettel an. Daedalus. Weg damit. Auf dem dritten stand: Beweg deinen Arsch nach New Orleans, verdammt noch mal. Sie lachte und warf den Zettel zu den anderen. Auch die übrigen sagten nichts anderes. Der gute alte Daedalus, der sich wie immer aufspielte, der ein Publikum brauchte, vor dem er über nichts und wieder nichts große Reden schwingen konnte, bla, bla, bla.
    Claire streckte die Hand aus und fand eine Flasche neben ihrem Bett mit ein wenig blassgelbem Likör darin. Sie nahm einen Schluck, schüttelte sich und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. Zeit, den Tag zu beginnen.

Kapitel 18
    Thais
    Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich zu Axelle zu rückgekommen bin. Der ganze surreale Tag zog durch mein Bewusstsein wie Fetzen eines Films, den ich vor langer Zeit mal gesehen hatte.
    Sechs Schulstunden lang hatte ich das Starren und das Tuscheln ertragen, hatte es ausgehalten, Clio wieder und wieder zu sehen, wenn wir

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