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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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den ich mit der Post bekommen hatte. Auf ihrem Namensschild stand »M s DiLiberti«.
    »T hais Allard.« Sie sprach meinen Namen korrekt aus.
    »S o ist es.«
    »N un denn, willkommen, Thais«, sagte sie und schien sich so weit gefangen zu haben, dass sie mir ein professionelles Lächeln zuwerfen konnte. »I ch sehe, du warst eine hervorragende Schülerin in Connecticut. Ich bin sicher, du wirst deine Sache hier gut machen.«
    »D anke.«
    »D eine Aufsicht für die allgemeine Organisationsstunde heißt Mr Delaney, Raum zweihundertsechs. Gleich die erste Treppe hinten links.«
    »D anke.«
    »U nd hier ist noch ein wenig zusätzliches Informationsmaterial.« Jetzt hatte sie schon wieder ganz auf den Businessmodus umgeschaltet. »D ies ist ein Exemplar des aktuellen Studienhandbuchs, das dir vielleicht nützlich sein wird. Und hier ist unser Schulvertrag. Bitte lies ihn dir sorgfältig durch und bring ihn bis zum Ende des Tages unterschrieben zu mir zurück. Und dann füll bitte noch dieses Notfallformular aus.«
    »J a, okay.« Mit solchen Dingen konnte ich umgehen. Was für eine Erleichterung. Doch dann ließ mich ein eigentümliches, kaum wahrnehmbares Gefühl die Schultern anspannen. Ich sah, wie sich Ms DiLiberti aufrichtete und über mich hinwegblickte.
    »W arte«, sagte sie zu mir. »C lio!«
    Ich schaute mich um. Na endlich, jetzt würden sie uns nebeneinander sehen und wir konnten mit diesem ganzen Doppelgängerscheiß aufhören. Eine lachende Mädchengruppe lief an uns vorbei. Das Licht fiel hinter ihnen ein, sodass sie sich nur als dunkle Silhouetten vor dem Hintergrund abhoben.
    »C lio! Clio Martin!«, rief Ms DiLiberti.
    Ich drehte mich mit dem Gesicht zum Tresen und hatte mit einem Mal ein seltsames Gefühl in der Magengrube. Es war gerade mal neun Uhr und ich war emotional schon völlig am Ende. Jetzt triff einfach diese Clio und bring es hinter dich. Doch trotz allem guten Zureden fühlte ich mich genauso nervös und ängstlich wie zuvor.
    »B is denne«, sagte eine Stimme, die sich anhörte wie meine eigene,nur dass mir die Worte »b is denne« nie über die Lippen gekommen wären. Furcht überfiel mich, wie eine Faust, die mir in den Magen schlug. Ich wusste nicht, weshalb, aber ich konnte mich nur mit Mühe zusammenreißen. »J a, Ms DiLiberti?«, sagte die Stimme. »I ch war’s nicht, ich bin gerade erst gekommen.«
    Ms DiLiberti lächelte trocken. »U nglaublicherweise habe ich dich nicht gerufen, um über deinen neuesten Regelverstoß zu sprechen«, sagte sie. »E s ist ja auch erst neun Uhr am ersten Schultag. Ich lasse dir noch etwas Zeit. Aber hier ist jemand, den ich dir gerne vorstellen würde. Thais?«
    Wie in Zeitlupe drehte ich mich um– endlich würde ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, meinem mysteriösen…
    Ich.
    Ich blinzelte und fast wollte ich die Hand ausstrecken, um zu testen, ob jemand einen Spiegel vor mir aufgestellt hatte. Meine Augen weiteten sich. Gleichzeitig weitete sich ein anderes, identisches grünes Augenpaar. Mein Mund öffnete sich und mir gegenüber klappte ein zweiter Mund auf, der genau dieselbe Form hatte wie meiner, nur der Lipgloss war ein bisschen dunkler. Automatisch tat ich einen Schritt nach hinten und scannte dieses andere Ich, diese Clio, von oben bis unten ab.
    Ihr Haar war anders als meins. Ihres war zu einem unordentlichen Dutt aufgesteckt und vermutlich länger. Meins war stufig geschnitten und reichte mir bis knapp über die Schultern. Sie trug ein weißes Tanktop und pink-rote Surfershorts, die vorne geschnürt wurden. Und sie hatte ein silbernes Bauchnabelpiercing. Wir hatten die gleichen langen Beine, die gleichen Arme. Ihre Haut war ein wenig gebräunter. Wir waren gleich groß und sahen aus, als würden wir dasselbe wiegen oder zumindest fast. Und das wirklich, wirklich Unglaublichste war:
    Wir hatten das exakt gleiche, rote Muttermal in der Form einer gepressten Blume. Nur war ihres auf dem linken Wangenknochen und meins auf dem rechten. Wir sahen identisch aus, wie die Kopie ein und derselben Person, als hätte man uns voneinander gelöst, damit wir uns gegenseitig spiegeln konnten.
    Obwohl mein Gehirn vor Verwirrung aufzuschreien schien, drang doch ein zusammenhängender Gedanke an die Oberfläche: Es gab nur eine einzige Erklärung.
    Clio war meine Zwillingsschwester.

Kapitel 16
    Clio
    »A ch. Du. Heilige. Scheiße.« Ich merkte kaum, dass die Stimme zu den Worten mir gehörte. Ich nahm mein Umfeld nur noch schemenhaft

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