Ein Kelch voll Wind
ich leichthin. »W ie viele blaue 1998er Toyota Camrys können auf einem Parkplatz schon rumstehen? Zweitausend?«
»J a, und sie hat ihren nach dem eintausenddreihundertachtundsiebzigsten gefunden«, sagte Racey.
»W ir hatten Glück«, sagte ich, während alle lachten.
»U nd wir haben uns schon mal die Typen hier angeguckt«, sagte Nicole und nickte in Richtung einer Gruppe Jungs, die bei den Basketballkörben herumstand. Raceys kleiner Bruder, Trey, war auch dabei.
Ohne großes Interesse blickte ich zu ihnen hinüber. Normalerweise hätte ich meine Antennen sofort ausgefahren. Ich hätte die Jungs abgecheckt, über mein Outfit nachgegrübelt, geschaut, wer sich von ihnen nach mir umdrehte… Ich hätte es genossen, sie mit nur einem Blick oder einem beiläufigen Wort zu beeindrucken. Doch jetzt sahen selbst die coolsten Seniors aus wie Zweitklässler.
Als ich merkte, dass ich schon um acht Uhr dreißig in der Früh total verschwitzt war, zwirbelte ich mir die Haare zu einem Knoten, holte ein chinesisches Essstäbchen aus meinem Rucksack und stach es hindurch. »V oilà«, sagte ich. »C hic und doch schlicht.«
»D oof und doch schlampig«, sagte Eugenie im selben Tonfall.
»L adys!«, hörte ich eine Stimme. Als ich mich umdrehte, sah ich Kris Edwards auf uns zukommen.
»Y o, Süße«, sagte ich und umarmte sie. »W ie waren die Schweizer Alpen?« Kris’ Familie war stinkend reich. Dementsprechend hatte sie ihre Ferien in Europa verbringen können.
»S chweizmäßig«, antwortete sie und umarmte Racey als Nächste. »A lpin.«
»U nd die Schweizer Jungs?«, fragte Nicole. »D eine SMS hat so einiges unserer Fantasie überlassen.«
»W ofür wir dankbar sind«, sagte ich und Kris lachte. »D as Schweizer Aufgebot war… nicht schlecht«, sagte sie grinsend und Della klatschte ab. »U nd bei dir?«, fragte Kris. »R acey hat mir gesimst, du hättest jemand kennengelernt, der groß, dunkelhaarig und gefährlich ist.«
»G efährlich?« Ich sah Racey an, die ein wenig verlegen die Achseln zuckte. »N un, er ist groß, dunkelhaarig und wunderbar, aber nicht gefährlich. Er heißt André«, sagte ich und versuchte vergebens, nicht allzu selbstzufrieden auszusehen.
»O ooh, André«, sagte Nicole, als der erste Gong ertönte.
»E r ist Franzose«, erklärte ich. »M it einem echten französischen Akzent. Er könnte das Telefonbuch vorlesen und ich wäre trotzdem noch völlig hingerissen.« Wir folgten dem Strom der anderen und liefen in Richtung Seiteneingang. Wie gewöhnlich wirkten die Neuen wie Grundschüler. Ich war mir sicher, dass wir nie so jung ausgesehen hatten.
»I ch liebe diesen französischen Akzent«, sagte Della neidvoll.
»E r ist wirklich unglaublich gut aussehend«, meinte Racey loyal, und ich lächelte ihr zu.
»O kay, schauen wir mal, wer unser Klassenlehrer ist«, sagte Kris und wir gingen zu den Listen für die Seniorjahrgänge. Wie alle anderen starrte ich an die Wand, doch meine Gedanken waren ganz woanders. Ich musste immerzu daran denken, wie ich mit André unter einem Baum gelegen hatte und wie sicher ich gewesen war, dass wir füreinander bestimmt waren. Es war anders als alles, was ich bislang gefühlt hatte, und es veränderte mein Leben komplett: die Schule, die Freunde, meine ganze Welt. In gewisser Weise fühlte ich mich älter. Vor zwei Wochen noch war ich irgendeine Siebzehnjährige gewesen, die kurz davorstand, ihr Seniorjahr anzutreten. Jetzt war das Seniorjahr bloß eine Etappe auf dem Weg zum Rest meines Lebens und zu der Person, mit der ich es verbringen wollte. Es war seltsam: Ich fühlte mich ruhiger und selbstsicherer als sonst und dann auch wieder aufgeregter und vorfreudiger. Vor zwei Wochen noch war ich genauso wie alle meine Freunde gewesen. Jetzt hatte ich diese unglaubliche Beziehung und sie nicht. Und das würde mich für immer von ihnen unterscheiden.
Kapitel 15
Thais
Die Straßenbahn hielt genau gegenüber der Ecole Bernardin. Ich hatte mich praktisch aus dem offenen Fenster herausgehängt, so nervös war ich gewesen, die Station zu verpassen. Ich fühlte mich einsamer als je zuvor in meinem Leben, auch dann noch, als ein paar Jugendliche, die anscheinend zur selben Schule gingen wie ich, mit mir zusammen aus der Straßenbahn stiegen.
Ich wusste, dass es schwer war, die Neue zu sein. Ich meine, ich hatte darüber gelesen. Aber ich war noch nie zuvor selbst neu gewesen. Und nach den Blicken zu urteilen, die mir die anderen zuwarfen, bekamen sie
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