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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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mich um meiner selbst willen und nicht als eine der bizarren Zwillinge, die nichts voneinander gewusst hatten. Mit einem Mal kam mir Luc in den Sinn. Auch er sollte mich um meiner selbst willen gernhaben. Garantiert wusste er nichts von mir und Clio. Das Bild unseres flammenden Kusses schoss mir durch den Kopf, und ich spürte, wie die Hitze meine Wangen rötete.
    »J a, es ist schon ziemlich heiß«, sagte Sylvie, als der zweite, etwas verspätete Gong ertönte. »W ir sollten besser in den Klassenraum gehen.«
    Als ich mich umdrehte, sah ich Clio in einem Raum am hinteren Ende des Flurs verschwinden. Für eine Sekunde blickte sie mir eindringlich in die Augen. Ich tippte Sylvie auf den Arm.
    »G eh schon mal vor– ich hol mir mal eben ein Wasser.«
    Sie nickte, und ich ging ans andere Ende des Flurs und spähte durch die Glastüren. Ein Raum lag im Dunkeln, und ich wäre fast daran vorbeigelaufen, als ich eine dunkle Silhouette erkannte. Ich öffnete die Tür und lugte hinein.
    »C lio?«
    Sie stand an ein Pult gelehnt, ihr langes Haar fiel ihr auf die Schulter. »H ey.« Sie musterte mich von oben bis unten, als müsse sie sich wieder ins Gedächtnis rufen, wie ähnlich wir uns sahen. Sie deutete nach rechts. »D ies ist meine… ähm, Nan. Meine Großmutter. Nan, das ist Thais.«
    Eine alte Frau trat aus dem Schatten. Forschend blickte ich ihr ins Gesicht, aber ich hatte sie definitiv noch nie im Leben gesehen. Sie sah nicht wie ich oder Clio oder unsere Mutter aus.
    »T hais«, sagte sie sanft und trat näher. Ihr Blick huschte zwischen Clio und mir hin und her. »I ch heiße Petra Martin. Ihr seid beide… wunderschöne Mädchen geworden. Ich freue mich so, dich endlich wiederzusehen.« Clios Großmutter. Also auch meine Großmutter. Die Mutter meiner Mutter.
    Ich hatte nichts von ihrer Existenz gewusst und Clio hatte sie ganze siebzehn Jahre für sich gehabt.
    Ich schluckte nervös und hoffte, dass sie mich auch bei sich aufnehmen würde, dass ich eine Familie gefunden hatte. Petra umarmte mich rasch. Ihr Haar roch nach Lavendel.
    Sie löste sich aus der Umarmung und lächelte mich an. »D u musst mit mir kommen«, sagte sie und wandte sich in Richtung des Ausgangs am anderen Ende des Raumes.
    Sie stieß die Tür auf und ging energischen Schrittes über den Schulhof, um das Grundstück zu verlassen. Eilig lief ich hinter ihr her, gefolgt von Clio.
    »S chwänzen wir die Schule?« Das hatte ich noch nie getan.
    Petra warf mir einen schnellen Blick aus ihren blauen, durchdringenden Augen zu. »J a.«
    »O h. Na ja…« Ich nickte. »O kay.« Schließlich gab es für alles ein erstes Mal.
    Sie führte uns zu einem Volvo Kombi und fünf Minuten später hielten wir vor einem kleinen Haus, das vom Gehweg etwas nach hinten versetzt lag. Das Ganze war von einem der vielen gusseisernen Zäune umgeben, die man hier überall sah. Der Vordergarten war so grün und so üppig bepflanzt, dass er das Anwesen quasi komplett von der Straße abschottete. Das Haus selbst war in rostroter Farbe gestrichen und mit Holz verkleidet. Zwei große verglaste Türen gingen auf die Veranda hinaus und um die Milchglasscheibe der Eingangstür war Buntglas gruppiert. Es sah hinreißend aus.
    Seit mein Dad tot war, hatte ich mich einsamer gefühlt, als ich es je für möglich gehalten hätte. Im Grunde wäre ich am liebsten selbst gestorben. Doch als ich Clio gestern gesehen hatte, hatte ich gehofft, unsere Begegnung würde alles verändern und diese schreckliche, unglaubliche Wendung, die mein Leben genommen hatte, sei nun ein für alle Mal vorbei. Ich sehnte mich nach Normalität, einer Großmutter, einem Zuhause, einer Schwester. Richtige, normale Menschen, die meinen Dad zwar nie ersetzen würden, aber direkt an zweiter Stelle stünden.
    Die Eingangstür führte in ein spärlich möbliertes Wohnzimmer. Ich sah mich interessiert um, quasi um mein neues Zuhause unter die Lupe zu nehmen. Zumindest wünschte ich mir das.
    Die Möbel waren einfach und altmodisch, die Wände in Altrosa gestrichen. Ich fühlte mich wohl hier– es war so viel heimeliger als Axelles schwarzledriges Art-déco-Zeugs. Genau wie in ihrem Wohnzimmer waren die Decken geradezu lächerlich hoch, vielleicht drei Meter sechzig? Vier Meter zwanzig? Zwei Holzbücherschränke standen in der Mitte der uns gegenüberliegenden Wand. Ich las die Titel in der Hoffnung, dass sie mir einen Hinweis geben würden, was Petra für ein Mensch war.
    Die Arbeit mit Kristallen.
    Mir stockte

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