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Ein Kelch voll Wind

Ein Kelch voll Wind

Titel: Ein Kelch voll Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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aussah.
    Petra seufzte und nahm einen kräftigen Schluck ihres Tees. Meinen hatte ich schon halb ausgetrunken. Eine ungewöhnliche Sorte, nicht zu süß, obwohl ich Spuren von Minze und Honig herausschmeckte. Verblüfft stellte ich fest, dass ich mich unerwartet wohlfühlte, ja sogar entspannt.
    »I ch werde euch erzählen, was passiert ist«, sagte Petra und legte die Hände um ihr Glas. »W ie man sieht, seid ihr Zwillinge. Eineiige Zwillinge. Und ich war diejenige, die euch getrennt hat.«

Kapitel 21
    Clio
    Das dürfte ein gutes Zeichen sein, dachte ich. Auf der anderen Seite des Tisches fixierte Thais meine Großmutter, und ich fragte mich, ob der Tee schon wirkte. Ich konnte einen Hauch Baldrian schmecken und mir war klar, dass Nan etwas zusammengebraut hatte, das uns beruhigen und die ganze Sache leichter machen sollte. Mir war Thais’ entgeisterter Ausdruck beim Anblick der Bücher nicht entgangen.
    »I ch wusste natürlich, dass eure Mutter, Clémence, schwanger war, doch sie hatte nicht geheiratet und sie verriet mir den Namen des Vaters erst, als sie eines Nachts in den Wehen zu mir kam.« Nan holte tief Atem. »I ch bin Hebamme, und Clémence wollte, dass ich das Baby zu Hause auf die Welt brachte, nicht in einem Krankenhaus.«
    »W arum?«, fragte Thais.
    »W eil… sie mir mehr vertraute«, sagte Nan langsam, als würde sie die damaligen Ereignisse noch einmal durchleben. »W eil ich eine Hexe bin. Genauso wie Clémence eine war.«
    Ich trank einen Schluck Tee, um mein Lächeln zu verbergen. Thais lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und sah noch entsetzter aus als zuvor, sofern das überhaupt möglich war. Ich erhob mich und stellte ein paar Kekse auf den Tisch. Benommen nahm sie sich einen und biss davon ab. Ich sah, wie Q-Tips Ohr zuckte, als ein paar Brösel auf ihn herabrieselten.
    »W as genau bedeutet ›Hexe‹?«, fragte Thais, und ich betrachtete sie nachdenklich. Sie wirkte entmutigt, aber nicht schockiert. Das war interessant.
    »A lso, die Religion unserer Familie heißt Bonne Magie«, sagte Petra. »G ute Magie. Oder weiße Magie, wenn du so willst. Seit Hunderten von Jahren– um genau zu sein, seit dem sechsten Jahrhundert– ist das die Religion unserer Familie. Meine Vorfahren brachten sie nach Kanada und dann nach Louisiana. Aber das ist noch nicht alles.«
    Thais nippte an ihrem Tee und strich Q-Tip abwesend übers Fell. Ich wollte, dass Nan endlich auf den Teil zu sprechen kam, in dem sie mir meinen Vater weggenommen hatte. Und Thais ihre Großmutter. Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich bei der Sache besser weggekommen war.
    »H exenkunst wird in den verschiedensten Formen ausgeübt«, fuhr Nan fort. »W icca ist ein wichtiges Beispiel und die Religion, die unserer am nächsten kommt. Bonne Magie stammt von einer ihrer Urformen ab. Die Kelten brachten sie in die Bretagne, als sie vor den Angelsachsen flüchteten.«
    Ich tat einen ungeduldigen Atemzug. Komm zum Punkt.
    »W ie auch immer«, sagte Nan. »W ir und unsere Vorfahren haben noch sehr viel mehr erreicht. Wir haben uns die Magie erschlossen, die in der Natur selbst verborgen liegt. Wir haben Macht.«
    Thais sah sie verständnislos an. Ich war mit diesem Wissen groß geworden, für mich war unser Gespräch so normal, als würde ich jemandem beim Wäschelegen zusehen. Aber für Thais war das alles neu, und ich fragte mich, was sie wohl dachte.
    »M - hmm«, sagte sie und klang, als wolle sie eine Irre besänftigen. Wieder musste ich mir ein Lächeln verkneifen. »M acht.«
    Petra hörte den Unterton in Thais’ Stimme. »J a, Liebes, Macht. Macht und Energie stecken in jedem Baustein dieses Planeten, und wir können sie uns nutzbar machen, wenn wir nur wissen wie. In unserer Religion geht es um dieses Wissen. Und noch wichtiger: um das W arum.«
    Thais blickte sich um, als suche sie nach einem Fluchtweg.
    »S chau«, sagte ich und schob mein Glas weg. Ich nahm einen Salzstreuer und kippte einen Teil seines Inhalts auf den Tisch. Ich fixierte das Salzhäuflein und schloss die Augen. Ich verlangsamte meinen Atem, sammelte mich und begann, im Flüsterton zu singen. Die ursprüngliche Form des Zaubers war auf Altfranzösisch überliefert und reimte sich. Ich tauschte ein paar Worte aus, um den Spruch an die Gegebenheiten anzupassen.
    Salz der Erde
    Macht des Lebens
    Ich forme dich
    Ich mache dich Mein
    Wir werden eins.
    In Gedanken sah ich die winzigen Salzkörner einzeln vor mir.

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