Ein Kelch voll Wind
Meine Augen schlossen sich und meine Glieder wurden weich.
»I ch schätze, du hast schon zu Millionen von Mädchen Ja gesagt«, meinte ich irgendwann und schluckte, als sich der giftige Pfeil der Eifersucht mit einer solchen Macht in mich hineinbohrte, dass mir fast die Luft wegblieb. Mir ihn mit einer anderen vorzustellen, brachte mich regelrecht zum Weinen. Einen nicht enden wollenden Augenblick lang sah er mir in die Augen, dann setzte er sich auf und überließ mich der Kälte.
Ich merkte, dass unsere Kleider mittlerweile völlig durchnässt waren. Die vielen kleinen Tropfen auf meinem Nacken hatten sich zu einem großen vereint, der nun an mir hinunterlief. Lucs Shirt klebte durchsichtig auf seiner Haut. Ich fühlte mich gedemütigt, linkisch, wie ein dummes, kleines Highschoolmädchen. Was ich natürlich auch war.
Als er sich mir erneut zuwandte, hatte sein Gesicht einen bedauernden Ausdruck.
»N icht Millionen«, sagte er und klang fast traurig. »A ber… viele. Und bis jetzt habe ich mir nie gewünscht, dass es anders wäre. Aber du, Thais…« Er lehnte sich neben mir zurück und stützte sich auf die Ellbogen. »Z um ersten Mal wünschte ich, dass ich mich an niemanden erinnern würde außer an dich.«
Ich brach in meiner ach so geschliffenen Frau-von-Welt-Manier in Tränen aus. In diesem Moment wusste ich, dass ich ihn liebte. Und was sogar noch beängstigender war– ich fühlte, dass auch er mich liebte. Dann küsste er mich. Küsste die Tränen in meinen Augen, mein regennasses Gesicht, meinen Mund. Meine Hände glitten über sein Shirt, fühlten die Hitze unter dem Stück Stoff. Unsere Beine waren ineinander verschlungen, und zum ersten Mal überhaupt gingen in meinem Kopf keine Warnlichter an, keine Stimme flüsterte mir zu, ich solle die Sache sofort abbrechen. In mir herrschte nichts als friedliche Stille und Einverständnis. Der warme, sanfte Regen fiel auf uns hernieder. Ich fühlte mich unsichtbar, ungestört, natürlich.
Die Zeile eines alten Songs kam mir in den Sinn, und wäre ich eine echte Hexe gewesen, ich hätte sie in Lucs Gedankenwelt weitergeschickt. Pure Emotion und eine klassische Melodie. Der Text lautete: I am all for you, body and soul. Ich bin ganz Dein, mit Herz und Seele.
Kapitel 28
Clio
Ich streckte mich gähnend und lächelte, als ich an die Träume der letzten Nacht dachte. An André, wie er sich zu mir heruntergebeugt hatte, um mich zu küssen. Ich hatte ihn geradezu in meinen Armen fühlen können, sein Gewicht, seine Stärke. Er war vollkommen. Es hatte mich fast umgebracht, ihn Freitagnacht zurückzulassen. Vielleicht würde ich heute entwischen können, sodass wir da weitermachten, wo wir aufgehört hatten.
Aber zuerst war frühstücken angesagt. Es roch nach Kaffee– hervorragend. Ich wälzte mich aus dem Bett und ging hinaus. Nans Zimmer wurde von meinem durch einen kleinen Flur abgetrennt, der außerdem zu einem kleinen Badezimmer führte, dem einzigen, das wir hier oben hatten. Unser Haus wurde dieser Orts als »C amelback Shotgun« bezeichnet. Shotgun, weil es lang und schmal war und man in der Eingangstür eine Kugel abfeuern könnte, die, ohne dass sie irgendetwas traf, einfach zur Hintertür wieder hinausschießen würde. Und Camelback deswegen, weil wir, im Gegensatz zu den vier Räumen im Erdgeschoss, oben nur zwei Zimmer hatten (das Bad nicht mitgerechnet). Und genau wegen dieser zwei Schlafzimmer hasste ich den Gedanken daran, dass Thais bei uns einzog.
Aber ich hatte auch noch andere Gründe.
Ich warf einen Blick in Nans Schlafzimmer. Ich sah sie fertig angezogen am Fuß ihres Bettes stehen. Das war ungewöhnlich. Sonntag war unser traditioneller Herumlungertag, an dem wir es gemütlich angingen. Ich betrat den Raum und blieb sogleich verblüfft stehen.
Nan war gerade dabei, einen Koffer zu packen, der offen auf ihrem Bett lag. Als Q-Tip versuchte hineinzuklettern– schließlich war das ein erstklassiges Plätzchen für ein Nickerchen–, hob sie ihn wieder heraus.
»G uten Morgen, Liebes«, sagte sie munter, ohne mich wirklich anzusehen.
»W as machst du da?«
»I ch packe. Unten gibt’s Kaffee, aber du wirst alleine frühstücken müssen.«
»W arum packst du? Fahren wir irgendwo hin?« Ich spürte ein nervöses Ziehen in der Magengrube. Schon kurz bevor wir von Thais erfahren hatten, hatte Nan sich so seltsam verhalten.
»N ein, nur ich allein«, sagte sie, während sie ein indisches Baumwolltop zusammenlegte. Erneut hob sie Q-Tip
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